Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
Drogenmissbrauch, Scheidung und sogar Selbstmord. Es hat also den Anschein, als würde der Mann im mittleren Alter einen letzten verzweifelten Versuch starten, sich zum Helden aufzuschwingen, was normalerweise scheitert und manchmal sogar katastrophal endet. Doch bedauerlicherweise gibt es für all das so gut wie keine Belege.
Um eine Theorie von der Midlife-Crisis überhaupt als solche bezeichnen zu können, müsste die Krise bei allen Männern gleichermaßen auftreten, und dazu noch über einen relativ überschaubaren Zeitraum. Laut Statistik erlebt aber nur einer von zehn Männern im Middle-Age das beschriebene emotionale Chaos, und wie wir gesehen haben, treten psychische Erkrankungen, darunter auch Depressionen, im Middle-Age nicht häufiger auf als sonst. Fragt man Männer nach den entscheidenden Wendepunkten ihres Lebens, erzählen sie meist von Erlebnissen im jungen Erwachsenendasein, nicht im mittleren Alter – berufliche Veränderungen, Eheschließung und vielleicht Ausbildung betreffend. Der Beginn des Erwachsenenlebens wird allgemein als die Phase angesehen, in der die Weichen für den weiteren Lebensverlauf gestellt werden. Von den Männern, die behaupten, sie hätten eine psychische Krise erlebt, gibt mehr als die Hälfte an, sie habe vor dem vierzigsten oder aber nach dem fünfzigsten Lebensjahrstattgefunden. »Krisen« im vierten Lebensjahrzehnt hatten durchweg äußere Gründe wie etwa der Verlust des Arbeitsplatzes oder das Scheitern einer Ehe und waren somit nicht explizit altersbedingt. Interessanterweise kam in einigen Untersuchungen die Aussage, dass eine Midlife-Crisis stattgefunden habe, nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen.
Es ist also nicht nur so, dass bereits die Definition der Midlife-Crisis ziemlich schwächelt, auch die Belege dafür sind äußerst dürftig. Männer berichten durchaus von einem psychischen Wandel im Middle-Age, aber das, was sie sagen, bezieht sich wohl mehr auf die Abnahme der kognitiven Fähigkeiten als auf gewaltige Umwälzungen im Seelenleben. Am meisten wird über Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, Reizbarkeit und Gedächtnisverlust geklagt, wobei es hier wahrscheinlich eher um die Wahrnehmung von Aussetzern geht als um einen tatsächlichen Schaden. Auf keinen Fall hört sich das nach einer tief sitzenden, der Höhe des Alters geschuldeten Angst an. Das Einzige, was in gewisser Weise die Schimäre von der Midlife-Crisis stützen könnte, ist der Umstand, dass Männer (nicht Frauen) im mittleren Alter eine leichte Zunahme der »Lebenswendepunkte« verzeichnen. Der Großteil davon hängt allerdings mit dem Beruf zusammen und geht meist auch noch in eine positive Richtung.
Psychologen sind sich heute weitgehend einig, dass die Midlife-Crisis des Mannes eine schlecht durchdachte, letztendlich haltlose Konzeption ist und für unsere Zeit keinen Wert mehr hat. Aber warum klammern wir uns dann trotzdem so an sie? Ich vermute mal, das liegt daran, dass wir die Idee einer Midlife-Crisis mögen, einfach weil sie uns das sagt, was wir hören wollen. Für manche hat sie sogar etwas Romantisch-Heroisches an sich. Von vielen großen Denkern oder Machern der Geschichte heißt es etwa, sie hätten in der Lebensmitte eine drastische Veränderung ihrer Weltsicht erlebt. (Aus diversen kulturellen Gründen warendas bekanntermaßen meist Männer.) Es sei dahingestellt, ob Michelangelo Buonarotti, Johann Wolfgang von Goethe oder Dante Alighieri in die Lobpreisung ihres mittleren Alters durch die Nachwelt einstimmen würden, aber der Gedanke, dass eine plötzliche Ahnung von der eigenen Sterblichkeit einen Mann zu großen Dingen antreiben kann, hat schon etwas für sich. Insbesondere für Männer, die sich den Kopf darüber zerbrechen, ob irgendetwas sie zu großen Dingen antreiben könnte.
Aber die meisten von uns sind nicht damit beschäftigt, den Lauf der Geschichte neu festzulegen, sondern arbeiten einfach. Und die Arbeitswelt verändert sich dauernd. Heutzutage lastet auf Männern mittleren Alters weniger Druck als früher, weil vermehrt auch die Partnerin arbeitet und sie nicht mehr allein für den Unterhalt der Familie verantwortlich sind. Aber die Arbeitswelt der Männer bleibt kompliziert. Der lebenslange Pakt zwischen Arbeiter, Arbeitgeber und Wohlfahrtsstaat hat sich nach und nach aufgelöst. Die nach dem Baby-Boom geborenen Männer müssen sich als aufgeschwemmte Generation in einer schrumpfenden Welt- und Volkswirtschaft zurechtfinden, und eine
Weitere Kostenlose Bücher