Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Misstrauen, Verlangen und Verzicht; so wie seine Zeit ist, so wird er schreiben. Er hat die Hoffnung, dass seine Zeit ihn versteht.
Der deutsche Dichter hat kein Geld, er muss es sich leihen, von seinen hustenden und keuchenden Kompagnons Karl und Albert. Doch er ist glücklich. Sein Geist ist gefesselt, seine Phantasie erhält Nahrung, so viel er sich nur wünschen mag, und alles rührt ihn zutiefst. Er liebt jeden, dem es so geht wie ihm. Ab und zu schreibt er Briefe, er brauche dringend Geld, die Franzosen lassen die Gefangenen zahlen, so geschäftstüchtig sind sie, geschäftssüchtig geradezu. Ohne Louisdor bleibt die Zelle kalt, das Holz zum Heizen, Monsieur! Und Heinrich schüttelt den Kopf: Da draußen liegen endlose Wälder, Holz zum Heizen für Generationen.
Was ist aus ihnen allen geworden? Zamor, Jean, Rigaud und Martial Besse? Was wusste Toussaint von seinen Leuten?
Seine Leute, seine Leute. Sie waren seine Feinde, ich habe es dir gesagt. Der Machthunger befiel auch die Sklaven, die Welt ist ungerecht und voller Gier.
Und die andern? Was wurde aus ihnen? Was geschah mit Félicité, was wurde aus ihrer Liebe?
Félicités Kind wuchs heran, gepäppelt von fetter Milch und guter Luft, hier in den Bergen; alle kamen, das schwarze Kind zu sehen, und Félicités anmutiges Lächeln. Sie harrte aus zu Füßen des Berges. Sie sah hinauf, wo sie ihn wusste, ihren Mann, Jean Kina. Im August kam ihr zu Ohren, die Brüder Kina sollten nach Besançon gebracht werden, und von dort zu einem Heer. Sie spitzte die Ohren, sie hatte längst ihre Spione, und erfuhr, sie sollten nach Meudon, ans blaue Meer, sie sollten in einem Bataillon mitkämpfen, mit anderenSchwarzen, nur Männer aus Kolonien.
Quelle horreur
, rief Félicité! Was für ein Unglück! Sie sollten für Napoleon kämpfen, für ihren eigenen Feind! Ich weiß nicht, wie sie es schaffte: Die Sippe samt Kind und Kegel verschwand! In einer Kutsche, polternd und eilig, gezogen von vier jungen Pferden, mit wehenden Mähnen liefen sie, schnell und schneller, ihr Ziel hieß
liberté!
An einem Sommertag, durch duftende Berge, auf schmalen Wegen, die Achsen krachten, und alle schrien und lachten, wir sind dem Gefängnis entronnen! Auf gen Süden, auf ans Meer, an die schöne Côte d’Azur! Und Staubwolken wirbelten hinter ihnen her, und keiner hat sie mehr gesehen –
Vivre libres ou mourir!
Vivre libres ou mourir.
Doch nichts von alledem erfuhr Toussaint l’Ouverture. Toussaint starb einsam, vor Kälte und Unglück, im April des Jahres 1803. Im Tal, da blühten die Rosen. Rot blühten sie, weiß und gelb. Seine Habseligkeiten hat man versteigert.
Warum nur, sagt Heinrich und tupft eine Träne, muss das Unglück immer das Glück durchkreuzen?
Kann man einen Gedanken fühlen?, hatte Henriette einmal gefragt, nachdem sie am Klavier zusammen gespielt hatten. Niemand war im Raum; Louis, Adam und die anderen Männer waren zum Rauchen in das andere Zimmer hinübergegangen.
Warum nicht, liebe Freundin?, hatte Heinrich gesagt. Doch warum sollte es nicht genügen, einen Gedanken zudenken und ein Gefühl zu fühlen? Man gerät doch sonst ganz durcheinander, oder?
So einfach aber war es nicht, für Henriette.
Henriette lächelte, doch Henriette war der Liebeshändel müde, Henriette wurde krank. Überdrüssig, weh und leidend, zeigte sie nach außen ihre liebenswürdige Natur, lächelte, um keinem zur Last zu fallen, doch die Last wurde schwer und schwerer. Der Arzt verordnete Ruhe und Schonung, keine körperlichen Dinge,
Sie verstehen
, nicht wahr, ein Frauenleiden, nicht allzu schlimm. Fortan wollte sie die Spiele der Liebe nur noch zwischen zwei Buchdeckeln erleben, in den Romanen.
Und als sie »Die gefährlichen Liebschaften« liest, von Choderlos de Laclos, fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. So ist das also, mit der Macht und dem Verlangen. Mit Liebe hat dies selten zu tun. So hält sie sich von Adam fern, und auch von allen andern. Pauline bewahrt sie vorm Schlimmsten, heitert sie auf, ein bisschen jedenfalls, ein Engel, wissbegierig, munter, der Mutter stets zugetan, mit ihren entzückenden hellen Augen und dem blonden Lockenhaar. Sie verbringen ihre Tage.
Doch die Krankheit setzt sich fest, vielgestaltig und schwer zu fassen, ein Unwohlsein, es ist der Kummer; die Säfte geraten durcheinander, Gewebe verhärtet sich, es wuchern Gewächse, wo sie es nicht sollen, und im Herzen eine sonderbare Schwäche; Henriette ist ihr
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