Wirbelsturm
Allah mit uns vorhat, mein Sohn«, hatte der alte Herr in ernstem Ton gesagt. »Ich rate dir, einen amerikanischen Paß zu beantragen, solange es noch geht. Schahs kommen und gehen, und die zwei Pahlevis zusammen sind erst seit 54 Jahren Hoheiten – kaiserliche Majestäten gar! Wer war denn dieser Reza Khan, bevor er sich zum König der Könige krönen ließ? Ein Soldat, ein Abenteurer, ein Glücksritter, der Sohn eines ungebildeten Bauern aus Masandaran am Kaspischen Meer.«
»Aber Reza Khan war doch sicher ein besonderer Mann, Vater. Ohne ihn und Schah Mohammed wären wir doch noch immer Sklaven der Briten.«
»Die Pahlevis waren uns von Nutzen, mein Sohn. Auf verschiedene Weise. Aber Schah Reza machte einen großen Fehler. Dummerweise glaubte er, die Deutschen würden den Krieg gewinnen. Er versuchte, die Achsenmächte zu unterstützen und lieferte so den Briten den Vorwand, ihn abzusetzen und zu verbannen.«
»Aber das kann Schah Mohammed nicht passieren! Er ist stärker, als sein Vater es je war. Die ganze Welt beneidet uns um unsere Streitkräfte. Wir haben mehr Flugzeuge als England, mehr Panzer als Deutschland, mehr Geld als Krösus. Amerika ist unser Verbündeter, wir sind die größte Militärmacht des Vorderen Orients.«
»Stimmt alles. Aber wir kennen den Willen Allahs nicht. Hol dir deinen amerikanischen Paß!«
»Aber der Besitz eines amerikanischen Passes kann sehr gefährliche Folgen haben. Du weißt doch, es heißt, fast alles geht über die SAVAK an den Schah. Wenn er es nun erfährt oder General Aryani, das wäre mein Ende bei der Luftwaffe.«
»Warum denn das? Du würdest ihnen mit Stolz erzählen, daß du dir den Paß verschafft hast, um für den Tag gerüstet zu sein, wo du ihn zum Nutzen der Pahlevis verwenden kannst. Hmmm?«
»Natürlich.«
»Merke dir, mein Sohn: Die Versprechen von Königen sind wertlos. Sie können immer Zweckdienlichkeit vorschützen. Wenn dieser Schah oder auch der nächste oder sogar dein großer General wählen müßte zwischen deinem Leben und etwas, das ihm wichtig ist, wofür würde er sich wohl entscheiden? Vertraue weder Fürsten noch Generälen noch Politikern: Sie verkaufen dich, deine Familie und dein Erbe für eine Prise Salz …« Er schauderte bei dem Gedanken, wie nahe er in Isfahan dem Tod gewesen war.
»Im Schatten ist es kalt«, sagte Lochart.
»Ja, ja. Sie haben recht.« Ali schaute ihn an und schüttelte seine Angst ab. Alle Generäle sind gleich. Mein Vater hatte recht. Das gilt auch für diese zwei, für Valik und Seladi. Sie hätten uns längst verkauft, wenn es nötig gewesen wäre. Vielleicht tun sie's noch.
Mich brauchen sie ja nur, weil ich der einzige bin, der sie fliegen kann – von diesem armen Narren abgesehen, der gar nicht weiß, wie tief er im Dreck steckt.
»Sehen Sie zu, daß Sie diesen Kanadier loswerden«, hatte Seladi gesagt. »Wozu ihn in Sicherheit bringen? Er hätte uns in Isfahan zurückgelassen – warum ihn nicht hier lassen? Am besten als Toten. Er kennt uns doch und würde uns alle verraten.«
»Nein, Exzellenz Onkel«, hatte Valik eingewendet, »als Geschenk an die Kuwaiter oder Iraker ist er mehr wert. Sie können ihn ins Gefängnis werfen oder spektakulär ausweisen. Schließlich war er es, der einen iranischen Helikopter gestohlen und sich bereit erklärt hat, ihn für Geld auszufliegen. Oder?«
»Ja. Aber er kann den Revolutionären immer noch unsere Namen nennen.«
»Da werden wir und unsere Familien schon längst in Sicherheit sein. Bitte, Exzellenz Onkel, überlege es dir noch einmal! Der Kanadier ist der erfahrenere Pilot …«
Ali sah auf die Uhr. Noch 30 Minuten bis zum Start. Wer sich wohl durchgesetzt hat, Valik oder Seladi? Wartet auf diesen armen Hund eine Gefängniszelle in Kuwait oder Bagdad oder eine Kugel? Ob sie ihn wohl begraben werden, nachdem sie ihn erschossen haben? Oder soll er den Geiern zum Fraß dienen?
»Haben Sie was?« fragte Lochart.
»Nein, nichts, Captain. Ich dachte nur gerade, was wir für ein Glück hatten, aus Isfahan rausgekommen zu sein.«
»Ja, ich schulde Ihnen mein Leben.« Lochart war überzeugt: Hätten Ali und der Major ihn nicht befreit, man hätte ihn vor ein sogenanntes Komiteegericht gestellt. Und wenn sie ihn jetzt erwischten? Das gleiche.
Wohin wollten sie? Nach Kuwait? Oder war vielleicht nur ein schneller Abstecher über die Grenze nach dem Irak geplant? Der Irak steht dem Iran für gewöhnlich feindselig gegenüber; das könnte also heikel für
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