Wo der Elch begraben liegt
Und die Felder?«, fragte Frida. » Gibt’s hier nicht gute Erde? Will niemand mehr Landwirtschaft betreiben?«
» Es gibt hier in der Gegend schon ganz hübsche Felder, und früher war das auch ausreichend. Aber heute, da gibt es andere Anforderungen«, sagte Åke.
» Man braucht die Vorteile eines Großbetriebs. Rentabilität und vernünftigen Service, solche Dinge. Die Urbanisierung ist eine Urkraft, der sich niemand widersetzen kann«, erklärte Mats. » Es ist bloß eine Frage der Zeit, bis der Vorstand Harriets Job in eine Stelle für Anzeigenverkauf in Eksjö umwandelt. Und das ist auch ganz logisch.«
Während Frida vor ihrem leeren Pizzateller saß, beschlich sie ein düsteres Gefühl. Alles war demnach schon zu spät. Wie sollte sie sich jetzt verhalten?
Frida wollte gerade den Zündschlüssel umdrehen, als sie bemerkte, dass Åke etwas weiter entfernt in seinem Wagen saß. Sie hatte sich vorgenommen, ihn zu fragen, wie sie es anstellen sollte, aus persönlicher Perspektive zu schreiben, doch während des Mittagessens war dazu keine Gelegenheit gewesen. Immerhin war er ja ihr Betreuer, und es war wohl besser, erst zu fragen, anstatt ihren Text zurückgewiesen zu bekommen. Wie deutlich sollte die » Ich-Form« sein, wie ehrlich konnte sie sich ausdrücken? Sie zog den Schlüssel aus dem Schloss, lief mit eiligen Schritten zu Åkes goldfarbenem Volvo und klopfte ans Seitenfenster, ohne zuerst in den Wagen zu schauen. Hätte sie es getan, wäre sie vermutlich umgekehrt. Aber jetzt war es zu spät. Sie sah, wie Åke direkt aus der Flasche trank. Durch Fridas Kopf schoss der Gedanke, einfach wieder wegzugehen, doch als sie sah, dass Åke sie bemerkt hatte, war der Augenblick vorbei. Er streckte sich, stopfte die Flasche schnell zwischen die Sitze, öffnete die Tür und stieg aus.
» Tut mir leid, ich wollte nicht stören«, sagte Frida.
» Kein Problem. Ich hab nur so furchtbare Halsschmerzen. Da braucht man manchmal außergewöhnliche Strategien«, sagte Åke und versuchte so zu wirken, als ob alles genau wie immer war.
In Fridas Kopf herrschte eine plötzliche Leere. Alle Fragen schienen unwesentlich.
» Geht’s Ihnen gut?«, fragte Åke.
» Ja, sicher. Ich wollte nur was wegen meines Textes fragen, aber das können wir auch später besprechen. Ich hab ihn ja auch noch gar nicht überarbeitet. Dann klären wir das wohl besser, wenn ich es gemacht habe. Sind Sie heute Nachmittag da?«
» Ich bin immer da«, sagte Åke. » Ich bin einer von denen, die immer da sind.«
Kalle balancierte auf einem Stein im Bach. Er hielt die Kamera auf ein separates Rinnsal in dem kleinen Wasserfall unter der Brücke gerichtet. Hier und da strömte das Wasser in einer besonderen Windung herunter und spritzte wie ein Geysir auf, wodurch ein hübscher Lichtreflex auf den Wassertropfen vor dem alten Brückengewölbe verursacht wurde. Genau so einen Augenblick wollte Kalle einfangen. Das wäre dann genau das richtige Titelbild für ihre persönliche Reportage über Bruseryd; davon war er überzeugt.
Frida war nicht so sicher. Es war nicht genau das, wovon ihr Text handelte. Doch sie ließ ihn machen. Er war nach allgemeiner Meinung sehr gut, und da war es wohl am besten, ihm zu vertrauen. Allerdings hatte sie ihn überreden können, auch den verschlossenen Eingang zum Werk abzulichten sowie– aus einiger Entfernung– den Acker mit Gunnel auf dem Stein, außerdem den Straßenhubbel im Gegenlicht, die Kahlfläche in Richtung Äskeby und die Landstraße mit einem winkenden Björkman am Gartentor. Um etwas Auswahl zu haben, hatten sie auch ein paar Bilder geschossen, auf denen er nicht winkte, sowie einige Bilder ganz ohne Björkman. Dies hier war das allerletzte Bild.
Wenn man zum Himmel emporblickte, konnte man sehen, dass sich ein Sonnenstrahl anschickte, durch die grauvioletten Wolken zu drängen. Kalle wartete auf das Licht. Genau als der Strahl durch die Wolken brach, beugte er sich vor, um den feinen Dunst aus lichtreflektierenden Tropfen einzufangen. Das Motiv tauchte etwas zu weit vorne auf, und genau in diesem Moment verlor Kalle den Halt und musste einen hastigen Schritt vorwärts auf einen Stein machen. Der Stein brach unter ihm weg, wodurch er das Gleichgewicht verlor, schräg nach hinten fiel und auf dem Grund des strömenden Wasserlaufs landete. Frida sah, wie er sich mit der rechten Hand abzustützen versuchte, und hörte ein schepperndes Geräusch, als die Kamera gegen einen großen Felsblock knallte,
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