Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
halbwegs brauchbares Referat abliefern.“
Ilona schaute in die Landschaft. Genießen konnte sie die schöne Aussicht aber nicht mehr.
*
Hartnäckigkeit führt zum Sieg, dachte Manfred, als die Literatur- und Quellensuche abgeschlossen war. Aber war es überhaupt ein Sieg, fragte er sich. Immerhin, das Ziel, ein Referat zu halten, schien in Reichweite. Die Fakten müssten nur noch etwas sortiert, ein bisschen mit den allgemeinen Kenntnissen zum Nationalsozialismus gemischt werden und fertig war der Vortrag.
Bei dem Gedanken, vor einhundert Kommilitonen zu reden, bekamen Ilona und Manfred feuchte Hände. Sollte sich ihre Nervosität nicht legen, würde Jürgen alles vom Blatt ablesen, eine Vorstellung, die sie vorerst beruhigte und gegen die Jürgen keinen Einwand hatte. „Ich habe schon öfter geredet, ohne genau zu wissen, worüber eigentlich. In der Politik kann man mit einer solchen Fähigkeit eine Menge Geld verdienen. Vielleicht liegt dort ja meine Zukunft“, verkündete er süffisant.
Der Saal war voll, diesmal hatten sogar mehr als einhundert Studierende Platz genommen, eine überraschend hohe Zahl, denn normalerweise nimmt die Anwesenheit im Laufe des Semesters ab. Aber die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wollte sich keiner entgehen lassen. Nicht in dieser Zeit, in der auch außerhalb der Universität viel über das Thema gesprochen wurde und in der sich regelmäßig irgendein Politiker, Richter, Wirtschaftsboss oder eine andere öffentliche Person mit dem Vorwurf auseinandersetzen musste, in Verbrechen der Nazi-Zeit verstrickt gewesen zu sein.
Im Moment hatten die Studierenden damit zu tun, die Choreographie der Veranstaltung zu deuten. Die Tafel zeigte in großen Buchstaben die Gliederung des Vortrags. Links davon hing ein großes Foto des Gymnasiums aus den dreißiger Jahren, rechts von der Tafel in gleicher Größe ein aktuelles Bild der Oberschule. Beide Ablichtungen unterschieden sich kaum, ein Tatbestand, der verschiedene Studenten vermuten ließ, die Referenten wollten damit vielleicht zum Ausdruck bringen, dass sich im Prinzip nichts geändert hat.
Ilona hatte mit in die Schreibmaschine eingespanntem Durchschlagpapier eine Anzahl von Kopien angelegt, um nach der Veranstaltung interessierten Kommilitonen einige zusammenfassende Informationen geben zu können. Zwei zusammengeschobene Tische boten allen drei Referenten nebeneinander Platz. Die Schriftmaterialien lagen penibel geordnet auf dem Tisch.
Ganz links an den beiden Tischen, wo der Platz frei war, hatte Ilona auf einen Schuhkarton eine Vase mit bunten Blumen gestellt. In Kalifornien, so hatte sie gehört, machten das derzeit die Studierenden immer so.
Als der Professor mit zweiminütiger Verspätung etwas verschämt den Raum betrat, nahm er die Gestaltung wohlwollend zur Kenntnis. Erst lächelte er die Blumen und die Bilder an, dann die drei Referenten. „Beeindruckend“, hob er hervor. Blumen und Fotos hatten etwas Heimeliges geschaffen, ein Ambiente, dass in diesen Wochen sich überschlagender Ereignisse im Saal gern angenommen wurde, auch wenn das nur wenige zugegeben hätten. Der Zeitgeist akzeptierte Ruhe lediglich als Ruhe vor dem Sturm.
Ilona saß neben den Blumen, Jürgen in der Mitte. Vorhin, in der Cafeteria, hatte Manfred die beiden um eine solche Sitzordnung gebeten, weil derjenige, der in der Mitte sitzt, am meisten die Blicke des Publikums auf sich zieht. Und dass ihm das gefällt, hatte Manfred für sich ausschließen können, Ilona erst recht. Aber jetzt war das, jedenfalls was Manfred betraf, anders.
Seine Angst war weg, im Gegenteil, er fühlte sich stark und wollte gehört werden. Er hatte über alles, was mit dem Thema in Verbindung stand, nachgedacht und er wusste, dass er hier keine Nobelpreisrede halten musste. Er spürte eine gute Anspannung, war bereit zur Auseinandersetzung, ja mehr als das, er hatte sogar Lust darauf.
Und in diesem Selbstbewusstsein ärgerte er sich über die Abmachung mit Jürgen. Nicht nur, was die Sitzordnung betrifft, sondern auch darüber, dass sie Jürgen den alleinigen Vortrag des maschinengetippten Manuskripts überlassen hatten. Dem Professor war das egal, ihm kam es lediglich darauf an, dass bei der späteren Anfertigung der schriftlichen Hausarbeit die Eigenleistung eines jeden Studierenden deutlich wird.
Manfred guckte genervt, er war sauer auf sich. „Sag mal Jürgen, ich denke wir…“ Weiter kam er nicht.
„Manfred bitte, ich muss mich
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