Wo die Wahrheit ruht
möglich. Alle in der Stadt, seine Schwester eingeschlossen, vermuten, dass der Auslöser für seine Abkehr von der Kirche und der Gesellschaft der Tod seiner Mutter war. Aber der Grund dafür kann auch ganz woanders liegen.”
“Wir müssen ihn finden, Matt. Bevor es der Killer tut.”
Ihr Mobiltelefon klingelte. Sie nahm das Gespräch entgegen, obwohl sie die Nummer auf dem Display nicht kannte. “Hallo?”
“Ms. McKenzie?” Die Stimme klang so zittrig und leise, dass sie sie nicht erkannte.
“Wer ist da?”
“Ich bin's. Bernie.”
32. KAPITEL
“I ch sehe nichts”, sagte Grace, während sie angestrengt durch die Windschutzscheibe starrte. “Sind Sie sicher, dass Sie den richtigen Weg eingeschlagen haben?”
“Das ist die Straße nach Erwinna. Die Mühle müsste gleich in Sichtweite kommen.”
Grace' Telefonat mit Bernie war kurz ausgefallen. Er hatte mit seiner Schwester gesprochen und wusste daher, dass die Polizei ihn in Zusammenhang mit dem Mord an Pastor Donnelly befragen wollte. Jetzt konnte und wollte er nicht länger davonlaufen und war bereit zu reden – jedoch nur zu seinen Bedingungen, und nicht mit der Polizei. Nicht, solange er seine Geschichte nicht zunächst jemandem erzählt hatte, dem er vertraute. Und dieser Jemand war Grace.
Matt in den Deal mit einzuschließen war nicht leicht gewesen. Bernie mochte Matt, aber er kannte ihn nicht gut genug, um ihm sein Wissen anzuvertrauen.
“Ich lege die Hand für ihn ins Feuer”, hatte Grace ihm versichert. “Wenn Sie mir vertrauen, können Sie auch ihm trauen.”
Zögernd hatte er eingewilligt.
“Kaum zu glauben, dass er die ganze Strecke zu Fuß gelaufen ist”, sagte Grace. “Wir sind doch schon mehr als fünfzehn Kilometer weit gefahren.”
“Er konnte es nicht riskieren, den Wagen meines Vaters zu nehmen. Es hätte dann keine Stunde gedauert, bis sie ihn geschnappt hätten.”
“Bernie klang so verängstig, Matt.”
“Er hat auch allen Grund dazu. Die Polizei
und
ein Killer suchen nach ihm.” Matt verringerte die Geschwindigkeit, um nach Straßenschildern Ausschau zu halten.
“Ist das die Mühle?” Grace deutete auf ein hohes, schmales Steingebäude mit einem einzigen Fenster oben am Giebel.
“Sieht ganz danach aus.” Matt brachte den Wagen zum Stehen und blinkte mit den Scheinwerfern, so, wie Bernie es vorgeschlagen hatte.
Nach wenigen Sekunden lugte ein Kopf hinter dem Gebäude hervor. Matt ließ noch einmal die Scheinwerfer aufblinken. Bernie winkte und kam auf sie zugerannt.
Grace kletterte auf den Rücksitz und öffnete ihm die Tür. “Alles in Ordnung mit Ihnen?” Sie reichte ihm eine Steppdecke, die sie in Stevens Schrank gefunden hatte.
Bernie hüllte sich in die wärmende Baumwolle, ließ sich ins Polster sinken und schloss die Augen. “Jetzt ja.”
“Ich habe mir solche Sorgen um Sie gemacht”, sagte Grace.
Er schlug die Augen wieder auf. “Danke, dass Sie hergekommen sind, Ms. McKenzie. Auch Sie, Matt. Ich weiß, Sie gehen ein großes Risiko ein.”
“Weiß Ihre Schwester, dass Sie hier sind?”, fragte Grace.
“Ich habe es ihr lieber nicht gesagt. Ich wollte sie nicht auch noch in meine Schwierigkeiten mit hineinziehen.”
“Wie tief stecken Sie denn in Schwierigkeiten?”, fragte Matt.
Bernie blickte auf seine Hände. Sie waren kräftig und schwielig. Die Hände eines Arbeiters, dachte Grace. Sie weigerte sich zu glauben, dass sie überdies noch die Hände eines Killers waren.
Matt drehte sich weit nach hinten, um Bernie direkt in die Augen sehen zu können. “Hören Sie zu, Bernie”, sagte er ruhig. “Ich kann mir vorstellen, was Sie gerade durchmachen. Doch so gern ich das, was Sie mir gleich erzählen werden, vertraulich behandeln möchte, wenn Sie eine Straftat begangen haben …”
“Was meinen Sie mit 'Straftat'?”, fragte Bernie.
“Mord zum Beispiel. Haben Sie Pastor Donnelly getötet?”
“Nein!”
“Wissen Sie, wer es getan hat?”
“Nein, aber ich weiß,
warum
er umgebracht wurde.”
“Warum?”
“Er wusste, wer Steven erschossen hat.”
“Hat er den Mord gesehen?”
Grace hielt den Atem an.”
“Nein, nicht direkt.” Bernie starrte aus dem Fenster in die mondlose Nacht hinaus. “Die Nacht sieht aus wie damals”, murmelte er wie zu sich selbst. “Kein Mond. Nur Dunkelheit und nackte Felder.”
Grace und Matt wechselten Blicke. “Wie damals?”, wiederholte Matt.
Bernie zog die Decke bis ans Gesicht. “Ich kann nicht zur Polizei gehen”, sagte
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