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Wo die Wahrheit ruht

Wo die Wahrheit ruht

Titel: Wo die Wahrheit ruht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Heggan
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Pastor Donnelly hat sie aber erkannt.”
    “Hat er dir das gesagt?”
    “Nein, aber ich konnte es an seiner entsetzten Miene ablesen. Als ich ihn fragte, ob er die Männer kennen würde, wandte er sich nur ab und hat mir nicht geantwortet.”
    “Ist er denn nicht zur Polizei gegangen?”, fragte Grace entsetzt. “Wie konnte er zulassen, dass ein armer, hilfloser Mann lebenslänglich hinter Gitter wanderte, für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat?”
    “Von Dusty haben wir erst einige Tage später erfahren. Ich bin dann zum Pastor hingegangen und habe ihm gesagt, wir müssten zur Polizei gehen. Wir müssten ihnen sagen, dass Dusty unschuldig sei.”
    Bernie presste die Hand auf seine Augenlider. “Er hat mir geantwortet, zur Polizei zu gehen, käme gar nicht infrage. Wir würden dann beide verhört, und er glaube nicht, dass ich – ein unschuldiger, verängstigter, beeinflussbarer Dreizehnjähriger – ein Polizeiverhör verkraften könne. Er redete auf mich ein, erklärte, dass die Öffentlichkeit die besondere Zuneigung, die er und ich teilten, nicht verstehen würde. Unseren Akt der Liebe würde sie für etwas Schmutziges und Beschämendes halten. Die Kirche würde in den Schmutz gezogen, und als Folge davon würden sich Tausende von Gläubigen von Gott abwenden. 'Denk an all die Leute, denen ich dann nicht mehr helfen kann', beschwor er mich. 'Die Kranken, die Armen, all jene, die Tag für Tag auf mich zählen.' Als ich mich trotz allem nicht überzeugen ließ, hat er mir vor Augen geführt, wie schrecklich die Wahrheit meine kranke Mutter treffen würde und auch meine Schwester, die damals gerade ihre erste Stelle als examinierte Krankenschwester angetreten hatte. Er redete lange auf mich ein und malte unser beider Leben als Horrorszenario aus, wenn ich zur Polizei gehen würde.”
    Bernies Stimme versagte beinahe; nur mühsam fuhr er fort. “Also habe ich den Mund gehalten. Eine Woche später starb meine Mutter. Ich war am Boden zerstört und überzeugt davon, dass ihr Tod Gottes Strafe für meine Sünden wäre. Deshalb bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich fühlte mich wie ein Heuchler.”
    “Warum sind Sie danach nicht zur Polizei gegangen?”
    “Ich schämte mich viel zu sehr und hatte Angst, Judys berufliche Karriere zu gefährden.”
    Grace stiegen Tränen in die Augen. Selbst jetzt noch – zwanzig Jahre später – war Bernies Verzweiflung förmlich mit Händen zu greifen. Der Gedanke, dass ein Priester, ein Mann, den eine ganze Gemeinde so sehr schätzte, eine solche Last auf diese jungen Schultern geladen hatte, erfüllte sie mit tiefster Abscheu.
    Die wöchentlichen Besuche bei Dusty ergaben nun einen Sinn. Sie dienten dem Priester dazu, mit seiner eigenen Schuld klarzukommen. Aber was war mit Bernie? Wie war
er
mit der Schuld fertig geworden?
    Nach einer Weile durchbrach Matt die bedrückende Stille, doch seine Stimme klang nachsichtig. Auch ihn hatte Bernies schonungslose Beichte betroffen gemacht. “Wie kam Steven ins Spiel?”
    Bernie richtete den Blick auf die farbenfrohen Stoffquadrate der Steppdecke. “Das war auch meine Schuld. Einen neuen Freund zu gewinnen, besonders einen so netten wie Steven, war eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich merkte, dass ich mit ihm über alles reden konnte – meine Arbeit auf dem Friedhof, den Tod meiner Mutter, die Opfer, die meine Schwester für mich bringt. Ich hatte nicht vor, ihm von der Sache mit dem Pastor zu erzählen, aber irgendwie ist es mir dann doch herausgerutscht. Ich merkte, es tat mir gut, mit ihm darüber zu reden – fast so, als würde eine große Last von meinen Schultern genommen.”
    “Haben Sie ihm erzählt, dass Sie die beiden Männer gesehen haben, die Felicia entführt hatten?”
    “Ja.”
    “Ein riskanter Schritt, nicht wahr? Steven hätte zur Polizei gehen können.”
    “Ich habe ihn schwören lassen, dass er es nicht tut, und er hat Wort gehalten.”
    “Haben Sie sich nie gefragt, warum er es nicht getan hat?”, fragte Grace.
    “Ich weiß warum”, sagte er schlicht. “Steven war mein Freund. Freunde verraten einander nicht.”
    Oder aber, dachte Grace, Steven hatte erkannt, dass er sein Schweigen teuer würde verkaufen können.
    Im schummrigen Licht des Wagens sah Grace, wie sich Trauer in Bernies Gesicht spiegelte. “Sechs Monate später wurde Steven umgebracht. Ich dachte an all die schlimmen Dinge, die ich verursacht habe – Dustys Verhaftung, den Tod meiner Mutter, meinen Austritt aus der

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