Wo geht's hier nach Arabien
auch noch das Licht gelöscht. Die Vision des 41-jährigen Stockhausen ist es, » eine surrealistische Romantik« entstehen zu lassen.Andere nennen es Panik oder Klaustrophobie.
Die kurze Konzertreihe ist Max Ernst gewidmet. Der weltweit gefeierte Maler und Bildhauer des Surrealismus ist knapp achtzig Jahre alt und befindet sich als Ehrengast unter den Zuhörern.
Karlheinz Stockhausens Musik eignet sich nicht, wenn man Freunde zum Spaghettiessen erwartet. Da greift man eher zu den Schmuseballaden von Phil Collins oder Sting, und falls der Chef mitkommt, kann es auch » Vivaldi zur Pasta« sein. Stockhausens Musik ist anstrengend, für manche sicher unerträglich. Aber er ist zu Recht ein Weltstar. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er Vater und Mutter verlor, galt er sehr bald als der führende Vertreter der neuen Musik in Deutschland. Die jungen klassischen Komponisten brachen mit allem Dagewesenen. Zu oft waren die deutschen Kompositionen von den Nazis missbraucht worden, bedienten sich die Wochenschauen und Aufmärsche der klassischen Musik, Hitler wollte sogar in den Wagner-Clan einheiraten, und diejenigen, die andere musikalische Wege gingen, galten als entartet, wurden umgebracht oder mussten ins kalifornische Exil gehen. Einer der aufstrebendsten europäischen Komponisten der zwanziger Jahre, Erich Zeisl, rettete zwar sein Leben, aber endete in Amerika als Komponist der Filmmusik für Lassie. Neue Musik musste her!
Nach seinem Abitur in Bergisch-Gladbach im Jahr 1947 schrieb Stockhausen zuerst Gedichte und Liedtexte, entdeckte jedoch bald die elektronische Musik. Im Kölner Rundfunk standen schon ein paar dieser neuen Musikinstrumente bereit, ein Melochord und ein Trautonium. Aber auch das genügte bald nicht mehr. Stockhausen zerlegte jetzt die Töne, oder er erfand neue hinzu. Wer hier mehr über » serielle Umstrukturierungen« und » künstlich erzeugte Tonhöhenverläufe« erfahren will, sei an die Fachliteratur verwiesen. Doch selbst wer die Theorie versteht, muss noch lange kein Fan der Musik sein, die dabei hinten rauskommt.
Hinzu kommt, dass Stockhausen nicht nur die Musik vorschreibt. Er » komponiert«, wie seine Musiker im Aufführungsraum zu stehen und wie sie dabei ihre Instrumente zu halten haben. Da müssen die Geiger liegen und die Trompeter beim Spielen Treppen auf- und abgehen.
In der Jeita-Grotte müssen sechs Sänger in vorgeschriebener Haltung auf Kissen sitzen. Das Publikum steht zum Teil achtzig Meter entfernt in der feuchten und finsteren Kalksteinhöhle, die erst kurz zuvor der Ãffentlichkeit zugänglich gemacht worden war. Sie ist über zwei Kilometer lang und bis zu 120 Meter hoch. Darunter liegt ein weiteres Höhlensystem, das bereits 1836 von einem amerikanischen Missionar entdeckt wurde. Heute kann man dort wieder Bootstouren unternehmen. Denn die beiden Höhlensysteme waren über 20 Jahre unzugänglich, da in den Jahren des libanesischen Bürgerkriegs, der ein paar Jahre nach dem Stockhausen-Konzert begann, dort Waffen und Munition gelagert worden waren.
Die gröÃte Berühmtheit erlangte Karlheinz Stockhausen allerdings nicht durch ein musikalisches Ereignis, sondern durch ein Interview. Die Terroranschläge am 11. September 2001 kommentierte er so: » Was da geschehen ist, ist natürlich, jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen, das gröÃte Kunstwerk, was es je gegeben hat.« Natürlich ist dieser Satz verkürzt wiedergegeben worden, aber Stockhausen war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr von dieser Welt. Er versuchte, seine Haltung zu erklären: » Dass Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch, für ein Konzert, und dann sterben. Das ist das gröÃte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos. Stellen Sie sich das doch vor, was da passiert ist. Das sind also Leute, die sind so konzentriert auf dieses eine, auf die eine Aufführung, und dann werden 5000 Leute in die Auferstehung gejagt. In einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts, also als Komponisten. Ein Verbrechen ist es deshalb, weil die Menschen nicht einverstanden waren. Die sind nicht in das Konzert gekommen. Das ist klar. Und es hat ihnen niemand angekündigt, ihr könntet dabei draufgehen.«
Die Verehrer seiner Musik galten ja eh schon als nicht ganz richtig im Kopf, doch seit diesem Interview machte er es seinen Fans noch
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