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Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Titel: Wo Schneeflocken glitzern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathryn Constable
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andere Welt vielleicht.
    Sophie wusste nur eins: Hier auf dem Bahnsteig konnten sie nicht bleiben, auch wenn es tatsächlich ein Bahnsteig war. Der wirbelnde Schnee und der Wind hatten nichts Romantisches, so wie sie es sich in der sicheren St. Petersburger Bahnhofshalle vorgestellt hatte. Das hier war nur grausam und tödlich. Sie mussten Delphine suchen, damit sie aus der Eiseskälte herauskamen. Und dann mussten sie irgendwo einen Unterschlupf auftreiben, wo sie fürs Erste geschützt waren und sich überlegen konnten, wie es jetzt weitergehen sollte.
    Sophie kniff die Augen zusammen und dachte angestrengt nach, während sie in die Dunkelheit und den wirbelnden Schnee spähte. »Delphine!«, brüllte sie. Aber ihre Stimme ging im Wind unter. Sie machte einen Schritt vorwärts und zog Marianne mit sich. »Wir müssen aus dem Schneesturm raus!«
    Noch einen Schritt und noch einen und womm! kippte sie nach vorne in den Schnee. Ihre Füße stießen gegen etwas Lebendiges und sie robbte schreiend weg. Aber das Wesen packte ihren Fuß und riss sie zurück. Schluchzend rief es ihren Namen.
    »Du Idiot, Delphine!«, schrie Sophie. »Was machst du denn da?«
    »Meine Koffer! Ich muss meine Koffer finden!« Delphine wühlte hektisch im Schnee.
    »Die musst du jetzt erst mal dalassen«, brüllte Sophie zurück. »Wir holen sie später!«
    Delphine schüttelte den Kopf und weigerte sich die Suche aufzugeben.
    »Ich kann nichts sehen!«, heulte Marianne. Ihre Brille und ihr Haar waren voller Schnee.
    »Nimm bloß deine Brille nicht ab!« Sophie packte Marianne am Arm und hielt ihre Hand fest. »Wenn du sie fallen lässt, findest du sie nie wieder!«
    »Aber was machen wir jetzt bloß?«, schluchzte Marianne.
    Sophie drehte sich mit dem Rücken in den Wind und spähte in die Nacht hinaus. Da! Ein schwarzer Block hinter dem wirbelnden Schnee. Ein Wartehäuschen vielleicht? Eine Hütte?
    »Ich glaube, da drüben ist ein Unterstand«, rief sie. »Haltet euch an den Händen, damit wir nicht auf die Gleise fallen.«
    Sophie wusste nicht, ob die anderen sie gehört hatten, aber Sekunden später fasste Marianne nach ihrer eisigen Hand. Sophie packte Delphine, zog sie hoch und diesmal leistete sie keinen Widerstand.
    Hand in Hand schleppten sie sich im Schneesturm zu der Hütte. Der Wind heulte und Sophies Zähne klapperten im Takt dazu.
    Endlich kamen sie an eine Tür aus verwittertem, zersplittertem Holz. Sophie wollte den Griff hinunterdrücken, schrie aber laut auf, als sie das Metall berührte. Es war so kalt, dass sie sich die Finger daran verbrannt hatte. Tapfer zerrte sie ihren Ärmel über die Hand herunter und versuchte es noch einmal. Dann ein kräftiger Tritt – und die Tür sprang auf.
    Von wirbelndem Schnee umgeben stürzten die drei Mädchen in die Hütte, nur weg aus dem Sturm, und stemmten mit den Schultern die Tür hinter sich zu. Das Heulen des Windes, ein Ton, so wild und verzweifelt wie von einem verwundeten Tier, verstummte abrupt. Die drei Mädchen lehnten sich gegen die Tür und rangen nach Atem. Sophie spürte, wie der Schnee in ihrem Nacken schmolz und langsam unter ihren Kragen tropfte. Sie drehte sich um und fasste ihre Umgebung ins Auge.
    Es war ganz anders, als sie erwartet hatte. Als hätte ihr Vater ein Buch aufgeschlagen und auf eine Illustration gezeigt. Die Strichzeichnung von einer Blockhütte, die nur darauf wartete, dass die Holzfäller zurückkehrten.
    Als Erstes fiel ihr ein kleiner schwarzer Bullerofen ins Auge, der schon einige Zeit gebrannt haben musste, so warm, wie es in dem Raum war. Neben dem Ofen war Holz aufgestapelt und davor stand ein Tisch mit drei Holzstühlen. Das dicke weiße Tischtuch war frisch gebügelt und mit so viel Wäschestärke imprägniert, dass es steif wie ein Brett war. Scharfe Knicke markierten die Stellen, an denen es zusammengefaltet gewesen war. Ein dunkler Brotlaib, ein Brotmesser mit Elfenbeingriff und cremig weiße Butter, alles auf einem verbeulten Blechtablett angerichtet, standen auf dem Tisch bereit, dazu ein schlichter weißer Krug mit drei kleinen Hornbechern.
    Durch ein kleines Fenster konnten sie den wild wirbelnden Schnee sehen, und der Kontrast zwischen der behaglichen Atmosphäre hier drinnen und dem Sturm draußen war so überwältigend, dass sie im ersten Moment keinen Ton herausbrachten.
    »Was tun wir jetzt?«, fragte Marianne schließlich und schüttelte ihr Haar, als säße eine Fliege darin. »Ich kann mir noch so den Kopf zerbrechen, mir

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