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Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Titel: Wo Schneeflocken glitzern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathryn Constable
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unter schweren Augenlidern an Sophie vorbeistarrten, als sei sie Luft.
    »Seht euch das mal an!«, rief Delphine, und Marianne folgte ihr zu einem riesigen Porträt von einer dunkelhaarigen Schönheit in einem extravaganten eisblauen Ballkleid.
    »Es sind so viele!«, seufzte Sophie, die sich unablässig im Kreis drehte und ihre Kerze höher hielt. Jeder Zentimeter des riesigen Saals war mit Bildern bedeckt.
    »Nein, falsch!« Die Prinzessin ging tiefer in den Raum hinein. »Es waren so viele!« Sie heftete ihre grauen Augen auf Sophie und fuhr fort: »Du wirst es nicht glauben, aber heute gibt es in ganz Russland nur noch …« Sie zählte es langsam an ihren Fingern ab, »… doch, ja, nur die eine Prinzessin Volkonskaja.«
    »Das tut mir leid«, murmelte Sophie.
    »Na, und mir erst!« Die Prinzessin kaute auf ihrer Unterlippe und starrte Sophie durchdringend an. »Manchmal denke ich, es wäre besser für alle, wenn diese eine Volkonskaja gar nicht existieren würde. Das würde alles einfacher machen …«
    »Oh, nein, so was dürfen Sie nicht sagen!«, protestierte Sophie.
    »Du hast Recht!« Die Prinzessin neigte den Kopf. »Ich sollte lieber den Mund halten. Womöglich hören sie mich noch.« Seufzend blickte sie zu einer langen Reihe von Volkonskis auf: »Irgendwann stirbt jede Familie aus. Und das ist gut so. Dann nämlich, wenn sie ihren Zweck erfüllt hat und zu nichts mehr nütze ist. Auch für die Volkonskis kommt der Tag, an dem sie anderen Platz machen müssen, die auch gerne mal zum Zug kommen würden. Findest du nicht auch?«
    Bei dem Wort »Platz machen« gab sie Sophie einen leichten Schubs, der so unerwartet kam, dass Sophies Kerze zur Seite kippte und heißes Wachs auf ihre Hand tropfte.
    »Aber Prinzessin!«, stieß Sophie hervor.
    »Und jetzt will ich dich ihnen vorstellen«, fuhr sie fort, ohne auf Sophies Protest zu achten.
    Sophie blickte sich unter den zahllosen Porträts um. »Und Sie wissen, wer die alle sind?«, fragte sie.
    »Ich weiß, dass sie alle mit der letzten Volkonski-Prinzessin verwandt sind.«
    »Also mit Ihnen«, wisperte Sophie.
    »Ja, oder ist hier noch eine andere Prinzessin im Saal?«, sagte die Prinzessin mit einem Anflug von Spott in der Stimme. »Aber jetzt sag mir … wer von diesen Herrschaften gefällt dir am besten?«
    Sophie schlenderte in der Galerie umher und schaute zu den Porträts hinauf. Vor dem Bild eines jungen Offiziers mit dunklem, in die hohe Stirn gekämmtem Haar und einem Lächeln um die Lippen blieb sie stehen. Er posierte in einer tressenbesetzten Uniform, eine schmale, hochgewachsene Gestalt in entspannter, selbstbewusster Haltung. Ein Säbel hing ihm an der Hosennaht herunter.
    Das Porträt war mit Einschusslöchern übersät.
    »Ja, Sophie«, hauchte die Prinzessin. »Unser tapferer Prinz Vladimir.«
    Das also war der letzte Volkonski-Prinz. Sein Gesicht war weich und gutmütig, keine Spur von Härte oder Rücksichtslosigkeit im Blick. Und die Art, wie der Prinz den Kopf zur Seite neigte, als lausche er auf etwas Interessantes, erinnerte Sophie an ein Foto von ihrem Vater – das Foto auf ihrem Fenstersims im Internat. Unwillkürlich senkte sie den Blick, weil sie das Gefühl hatte, dass dieser gemalte Prinz alles hören konnte, was sie sagte oder vielleicht auch nur dachte.
    »Na, wie findest du ihn?«, fragte die Prinzessin. »War er hübsch?«
    »Ich weiß nicht …«, murmelte Sophie.
    »Erinnert er dich vielleicht an jemand?«
    Sophie trat dicht vor das Bild. Jetzt konnte sie die Pinselstriche erkennen, aus denen der Schnurrbart des Prinzen bestand, die Pigmenttupfer, die seine Wangen rot färbten. Behutsam legte sie einen Finger auf die Löcher in der Leinwand. Wie viele Kugeln dort eingeschlagen sind! , dachte sie schaudernd. Sie überlegte, ob sie der Prinzessin sagen sollte, dass der Prinz sie an ihren Vater erinnerte, aber sie würde sich nur lächerlich machen. Ihr Vater, ein armer, unbekannter englischer Dichter, hatte absolut nichts mit diesem tapferen russischen Aristokraten gemeinsam.
    »Nein, nicht dass ich wüsste«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Aber wie denn auch? Ich kenne nicht viele Prinzen, die vor ihrem eigenen Porträt erschossen wurden.«
    Neben diesem Bild hing ein anderes Porträt, das genauso groß und mit einem Tuch verhüllt war.
    »Sie wurden als Paar gemalt«, erklärte die Prinzessin, riss das Tuch herunter und beobachtete Sophie scharf, als das Gemälde zum Vorschein kam.
    Es war das Porträt einer

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