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Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Titel: Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Reich
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ihm nicht lange böse sein. Den Kindern geht es genauso. Papa ist eben so. Sie kennen das. Sie lassen ihn in Ruhe und warten, bis er mit überschäumender guter Laune vorschlägt, ins Kino zu gehen, jetzt, wo wir das Flugzeug schon mal verpasst haben. Unser Leben könnte einfacher sein, ruhiger. Aber wäre es dann noch das gleiche? Wären wir dann hier, in New York?

 
     
     
    I
ch stehe vor meinem Kleiderschrank und überlege, was ich anziehe. Die Reise von Brooklyn nach Manhattan ist ja auch immer eine Reise vom Land in die Stadt. Wir gehen in die City, sagen sie hier, wenn sie nach Manhattan aufbrechen. Ich habe
cargo pants
an, Turnschuhe und ein T-Shirt. So geht das nicht. Andererseits habe ich natürlich keine Ahnung, wie man sich für einen Häuserbrand in Manhattan anzieht. Vielleicht gibt es anschließend, wenn das Feuer gelöscht ist, noch irgendeine Pressekonferenz mit dem Bürgermeister. Ich nehme ein hellblaues Hemd, eine graue Stoffhose von Banana Republic und die schwarzen, halbhohen Kenzo-Schuhe, die ich mir im Sommer in der Friedrichstraße gekauft habe. Dann renne ich in mein Arbeitszimmer und suche einen Block.
    Auf dem Schreibtisch liegen die Notizbücher, die ich für die Recherchen über Nadja Bunke und Gregor Gysi benutzt habe. Da würde ein Häuserbrand gut reinpassen. Ich mag es, Menschen und Orte, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, in Notizbüchern zu mischen. Ein paar freie Seiten genügen, man braucht nicht viel Platz für eine Brandgeschichte. Ein paar Namen, ein paar Zitate, ein paar Beobachtungen, aber die Notizhefte auf meinem Schreibtisch sind bis zum Rand gefüllt. Ich erinnere mich, wie ich beim letzten Gespräch mit einem Schulfreund Gysis die Umschlagpappen meines letzten Schreibheftes beschreiben musste. Ich blättere eines der Hefte nach freien Seiten durch. Mir fällt ein Wort auf, das ich umkringelt und mit mehreren Ausrufezeichen versehen habe. Es schien mir wichtig zu sein. Es ist das Wort
Gemüsegolf
. Es stammt aus der Fernsehaufzeichnung einer neuen Show mit Jürgen von der Lippe. Gysi war „Studiogast und sollte an verschiedenen Spielen teilnehmen. Eines hieß Gemüsegolf. Dazu band ihm eine Assistentin mit einer Schnur eine Kartoffel am Hosenbund fest. Mit der Kartoffel sollte Gysi eine Knoblauchknolle, die auf dem Boden lag, über eine Ziellinie schießen. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er dort stand, unsicher, schief grinsend, die Kartoffel schwang zwischen seinen Beinen. Später musste Gysi einen Satz mit drei Tischtennisbällen im Mund sprechen. In der Garderobe sagte er mir anschließend: »Ich will das alles nicht. Ich will nicht mehr Bürgermeister werden.« Und dann fuhr er weiter, zum nächsten Termin, irgendein Volksfest in Kreuzberg, wo er nach Mitternacht mit einer Bürgermeisterkandidatin tanzte. Immer weiter. Nur Pferden gibt man einen Gnadenschuss.
Gemüsegolf.
Ein gutes Wort für meine Geschichte über einen Mann, der der Politik verfallen ist. Ich schaue aus dem Fenster auf die kleine Straße, die ruhig daliegt. Ich sehe mein schwaches Spiegelbild davor. Das ist mein Platz. Hier wollte ich schreiben. Morgen vielleicht. Ich nehme mir einen Block von Anjas Schreibtisch, ein dickes, schwarzes Notizbuch. Nur etwa die Hälfte der Seiten ist mit Vokabeln beschrieben, die Anja auf dem Baruch City College lernte, das sie in ihrem ersten New Yorker Jahr besuchte. Ich nehme es mit nach unten.
    »Das ist mein Block«, sagt meine Frau.
    »Ich weiß, ich habe keinen«, sage ich.
    »Das ist mein Vokabelheft«, sagt sie.
    »Ja, ich borg' es mir ja nur«, sage ich.
    »Borgen!«, sagt sie, leicht spöttisch.
    »Komm«, sage ich. »Ich muss echt los.«
    »Woher weißt du denn, dass ich nicht auch mitwill?«, fragt sie.
    »Willst du denn?«, frage ich.
    Anja steht ganz still da. Sie versteinert, wenn sie nicht mehr weiter weiß. Ich zappele, sie erstarrt zu Stein. Meine Welt dreht sich im schnellen Vorlauf, ihre hält an. Ich habe in solchen Situationen schon auf sie eingeschrien und hatte nicht den Eindruck, dass sie mich hört. Ich sage nichts, merke aber, wie ich hektisch werde, nicht wütend, aber hibbelig. Ich muss jetzt wirklich gehen, und ich habe das Gefühl, an einer Leine zu hängen. Es geht um den Schreibblock, sicher, aber natürlich geht es auch um die ganz großen Fragen der Gleichberechtigung. Wir sind auf dünnem Eis, eine falsche Bewegung und wir brechen ein. Ich habe in Augenblicken, wenn ich die Leine spürte, auch schon über Geld

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