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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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beiden sich sehr wohl in den harmlosen gemeinschaftlichen Mauscheleien, die alle kleinen Händler sehr gut kennen. Das Ganze hatte seine Ordnung. Schließlich beklagte sich keiner. Denn mein Vater wußte sehr wohl, daß er Davit beim Eintreiben von offenen Rechnungen vollkommen vertrauen konnte. Zudem führte der Geldverleih bei Monsieur Davit zu einem größeren Selbstvertrauen.
    Doch niemand konnte ahnen, daß diese Arbeit seinem Lebensende den Boden bereiten würde. Deswegen waren wir sehr bestürzt, als er eines Tages ins Zuckerkoma fiel und kurz darauf an Hirnblutung starb, nachdem der Sohn von Monsieur Daniel aus Izmir, einem Hersteller und Großhändler von Rasierpinseln, plötzlich pleite gegangen war und eine für Monsieur Davit bedeutende Geldmenge in den Sand gesetzt hatte. Mein Vater dachte jedoch gar nicht darüber nach, wie bedeutsam es für Davit gewesen war, wenigstens in dieser Angelegenheit Erfolg zu haben, und wie wichtig er das bißchen Geld genommen hatte, sondern sagte nur in bezug auf den Menschen, der diesen Tod verursacht hatte: »Izmirli bueno no ay.« »Es gibt keinen guten Izmirer.« Anders ausgedrückt: »Die Izmirer sind keine anständigen Menschen.« Ob er mit diesen Worten nun nur die Juden in Izmir im Visier hatte oder alle Izmirer, weiß ich nicht. Es lohnte sich auch nicht, danach zu fragen, warum er so sehr von diesem Gedanken überzeugt war. Mich interessierte viel mehr die Tragödie eines Mannes, der sich so sehr zum Sklaven seines Geldes gemacht hatte. Außerdem hatte ich Izmir immer sehr geliebt wegen meiner Erinnerungen und der Menschen, die ich dort getroffen habe. Nach dieser langen Erzählung habe ich es noch viel lieber. Nun weiter …
    Im Laufe der Zeit lernt der Mensch, andere in seinem Umfeld, die ihn irgendwie berühren, mit ihren fixen Ideen sich selbst zu überlassen. Inzwischen genügt es mir, mich zu erinnern, daß es für jedes Wort und Verhalten sicherlich einen Grund gab; das erleichtert es, manchen Widerspruch zu ertragen. Mit den Gefühlen, die mir mein heutiger Standpunkt verleiht, kann ich lächelnd auf die Entscheidung von Monsieur Davit schauen, der mich bei meinen Bemühungen, jenen Aufstand anzuheizen, meinem Schicksal überlassen hat, genauso wie zuvor schon Kemalettin Bey. Doch in jenen Tagen haben wir heftig diskutiert. Wir konnten der Diskussion nicht ausweichen. Was blieb mir schon anderes übrig, vor allem da auch er wie viele andere im Geist der damaligen Zeit überzeugt war, der Kampf gegen die Kommunisten wäre am leichtesten zu gewinnen nach dem Motto: »Häng ein paar auf am Taksimplatz, und dann laß uns mal schauen, ob sie weitermachen!« Auch ich solle mich von diesen Gedanken lossagen, ehe ich in weitere Unannehmlichkeiten geriete, mich auf mein Studentendasein besinnen und eifriger studieren. Das war der Rat, den er mir fürs Leben gab. Von ihm hatte ich nichts anderes erwartet und im Grunde im voraus gewußt, was für eine Antwort ich bekommen würde. Meine Absicht war wahrscheinlich in erster Linie gewesen, ihn zum Nachdenken über sein Leben zu bringen und zu der Einsicht, daß er auch mit anderen Gegebenheiten leben konnte. Vielleicht wollte ich mich mit meinen intellektuellen Spielen auch selbst beweisen. Vielleicht kämpfte ich darum, meine Verschlossenheit soweit wie möglich zu überwinden, indem ich mich als einen Menschen darstellte, der gebildeter war als er und seine Umwelt. Es war nicht so, daß ich nicht von meinen Gedanken und der Notwendigkeit dieses Aufstands überzeugt gewesen wäre. Damals war das die ethische Haltung, die ich am vertrauenswürdigsten fand. Aber leider war die Realität von Monsieur Davit nun einmal, wie sie war, und ich hatte nicht die Kraft, das Bild zu verändern, das sich mir bot.
    Şevket dagegen, der manchmal Waren auslieferte oder Geld eintrieb und oft Botendienste machte, hatte weder die Zeit, sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen, noch die Kraft, denn er dachte immer an seine Frau, die ihm das Leben vergiftete. Während er in aller Frühe in den Laden kam, ihn jeden Tag sorgfältig auskehrte, wobei er sich hinter dem Vorwand versteckte, daß man den ›Brottrog pflegen‹ mußte, jeden Abend mehrmals die Wasserhähne und die Elektrizität kontrollierte, was schon zur fixen Idee geworden war, und möglichst immer als letzter gehen wollte, lebte er die ganze Zeit mit dem Traum, im Rentenalter in seine Heimat zurückzukehren und Kleinvieh zu mästen. Ich kann mir das alles nur mit dem

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