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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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Er greift nach seinem Sohn.
    Und dann kippt er ins Wasser und der Fluss brodelt lange über ihn hinweg, bevor das Seil an dem scharfkantigen Fels reißt und sein Körper flussabwärts wirbelt wie ein Stück Treibholz oder irgendein anderer Teil des Walds. Abgesehen von dem an den Baum gebundenen Seil würde man gar nicht wissen, dass er überhaupt da war, und weiter zischt und gurgelt der Fluss und versteckt unter seiner Oberfläche Aststümpfe und Felsen und Kreaturen, sowohl ertrunken wie lebendig.

JUSTIN
    Um das Feuer ist ein Kreis aus Licht und Wärme, und sie bleiben darin. Die Dunkelheit ist wie Rauch, der sich langsam über sie legt, ein immer dichter werdender schwarzer Dunst. Die Bäume sehen immer weniger aus wie Bäume und mehr wie dunkel verhüllte Gespenster. Während Justin im Zwielicht sitzt und nach seinem Vater Ausschau hält, hat er das Gefühl, die Zeit verlangsamt, verdichtet sich. Sekunden wirken wie Minuten und Minuten wie Stunden, und was er sich am meisten wünscht – dass sein Vater mit einem Winken aus dem Wald tritt –, wird nicht passieren. Er versucht, es zu erzwingen, doch es ist, wie wenn man den Schlaf herbeizwingen will – jede Sekunde jetzt, ja, gut, bald, hier kommt er –, man wird immer zappeliger und eine erschöpfte Wut überkommt einen.
    Sein Vater ist irgendwo da draußen. Justin hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Sein Vater hatte geweint – wie ein betrübtes Kind – und hatte sogar eine Umarmung über sich ergehen lassen. Er war nicht mehr er selber. Justin hätte stärker, lauter sein müssen, hätte von seinem Vater verlangen müssen, dass er mit ihnen ins Lager zurückkehrt. Er hat Essen und Wasser in seinem Rucksack, einen Erste-Hilfe-Kasten, aber eine Taschenlampe? Natürlich braucht man das alles nicht, wenn man tot ist, denkt Justin und versucht sofort, den Gedanken zu vertreiben, indem er den Kopf schüttelt und sich die Handballen auf die Augen drückt. Es kann nicht sein. Er kann nicht tot sein, nicht er.
    Er hat zu viel, über das er nachdenken muss. Er hat zu viel im Kopf. Und alles davon ist schlecht. Wenn er sich in der Schule mit einem Stapel Aufsätze, einer Lehrerkonferenz, einem Elternsprechtag, einem Basketballspiel herumschlagen muss, macht er sich immer Listen, schreibt alles auf und hakt nacheinander ab, was er erledigt hat. Das vermittelt ihm ein gutes Gefühl, macht das Chaos beherrschbarer. Jetzt hätte er sehr gern ein Blatt Papier. Dann könnte er alles durchgehen.
    Da sind Nahrungsmittel – sie sollten jetzt wirklich etwas essen. Die Nährstoffe helfen ihm beim Denken, füllen seinen Energiespeicher wieder auf. Und da ist sein Vater, der inzwischen zurück sein sollte, der aber auch nicht tot sein könnte, nicht wie die Skelette im Wald, nicht wie der Hund, dessen Halsband als Warnung zurückgelassen wurde. Da ist Seth mit seinem Grinsen und der Brechstange. Und da ist der Bär. Der Bär und Graham. Er will die beiden nicht zusammen denken, nicht im selben Satz, nicht im selben Canyon, nicht, während um sie herum die Nacht hereinbricht, aber so ist es eben, sie sind alle hier.
    Als ob das nicht schon genug wäre. Was ist mit seiner Frau? Natürlich seine Frau, die sich jetzt, bei einem Blick auf die Uhr an der Mikrowelle, noch keine Sorgen um sie macht. Er hat genau das getan, was sie ihn gebeten hat, nicht zu tun. Wie lange wird es dauern, bis sie seine Mutter anruft? Und dann 9-1-1? Nein, nicht Karen. Für 9-1-1 denkt sie zu praktisch. Sie wird das nicht als Notfall betrachten, noch nicht. Sie wird mit dem Forest Service anfangen, wahrscheinlich aber nicht vor zehn Uhr, und zu der Zeit wird nur der Anrufbeantworter anspringen, und dann wird sie die Polizei von John Day anrufen, wo aber nur ein Streifenpolizist Wache hält und nachdem er sie gefragt hat, wo genau sie sich aufhalten, wird er sie an den Forest Service verweisen. Wenn sie dann sagt, mit scharfer Stimme, aus der eher Verärgerung als Panik spricht, dass sie es dort bereits versucht hat, wird der Polizist mit einem Glucksen sagen, Denken Sie sich nichts, Ma’am, Jungs sind eben so , und er selber könne gar nicht mehr zählen, wie viele Jagdausflüge einen oder zwei Tage länger gedauert haben als geplant, wenn das Bier in Strömen fließt und die Böcke sich zwischen den großen Kiefern verstecken.
    Karen wird dann die nächsten Stunden im Haus auf und ab gehen, den Fernseher ein und wieder ausschalten und in den Kühlschrank starren. Und dann? Er hat ihr gesagt, es kann

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