Wölfe der Nacht
hängt das Fellkostüm. Im Fernseher dreht sich das Rad, und im Wohnzimmer beißt Brian einen Faden ab und verknotet ihn. Die Kategorie ist Tätigkeit. Die Lösung des Rätsels besteht aus zwei Wörtern. Brian schärft eine Schere mit einem Schleifstein, steckt seine Faust in die Fellmaske, um sie zu spannen, und schneidet zwei Augenlöcher und einen Schlitz zum Atmen hinein.
Das Rad wirbelt sein Kaleidoskop aus farbigen Tortenstücken und glitzernden Ziffern. Beinahe bleibt es bei Bankrott stehen, ruckt dann aber noch ein Feld weiter zum silbrigen Versprechen von tausend Dollar. »Nackt erwischen«, sagt Brian zum Fernseher. Und dann lauter: »Nackt erwischen heißt es, ihr Idioten!«
Der Mann schließt die Augen und hebt die deformierten Hände wie zum Gebet. Erst Sekunden später erkennt Brian, dass der Mann die Finger kreuzt. »Nase langziehen«, rät der Mann. Lichter blinken. Glocken läuten. Das Publikum klatscht und Pat Sajak lächelt und der Mann macht ein paar Tanzschritte und wirft den Kopf zurück und öffnet den Mund und zeigt eine schwarze Höhle des Lachens, das den ganzen Bildschirm zu verschlucken scheint, als Brian auf die Fernbedienung drückt und alles dunkel wird.
Brian steht von der Couch auf und geht zu der Puppe. Einen Augenblick starrt er in ihre leeren blauen Augen, bevor er ihr die Maske über den Kopf zieht. Er betrachtet seine Arbeit mit Schneideraugen, zieht einen Ärmel glatt, streicht fast zärtlich über das Fell. Ein modriger Geruch steigt aus dem Kostüm auf, irgendwie zwischen Zwickel und Hund – ein Geruch, der ihn umgibt, als er sich Minuten später nackt auszieht und in die Hose steigt und den Gürtel umschnallt und dann die Jacke überstreift und schließlich die Maske. Das Geräusch und die Hitze seines Atmens umgeben ihn, und er bekommt das altbekannte Gefühl der Macht und der Erregung. Eine Erektion pocht zwischen den Beinen. Es ist für ihn die erste seit Monaten.
Er geht vom Wohnzimmer einen schmalen Gang entlang in sein Schlafzimmer. In die Schranktür ist ein Ganzkörperspiegel eingearbeitet, er stellt sich davor und betrachtet sich. Die einzige Lichtquelle ist eine 40-Watt-Birne an der Decke. Sie hat ungefähr dieselbe Wirkung wie ein Scheinwerfer, denn sie wirft lange Schatten, die sich über seinen Körper winden, wenn er sich bewegt. Es gefällt ihm, wie präzise die Maske über sein Gesicht passt, wie eine Rüstung.
Als Brian noch jung war, nahm sein Vater ihn einmal mit zu einer No-Aufführung im Community College. Die Musik war anders als alles, was er bis dahin gehört hatte: das ruhige Murmeln der Bambus-Flöte vor dem Hintergrund des manchmal langsamen, manchmal manischen Schlagens der Taiko-Trommel. Vor allem aber erinnert er sich jetzt an die Masken, die die Darsteller trugen.
In jedem No-Stück gibt es fünf Typen von Masken – Götter, Dämonen, Männer, Frauen und die Alten –, die den grundlegenden Charakter der Figuren darstellen sollen. Und diese fünf Masken wurden danach in der Lobby verkauft. Er weiß noch, dass er die dämonische Maske mit der roten Gesichtsfarbe und den hervorquellenden Augen in die Hand nahm. Ein dünner Schnurrbart umrahmte den Mund und reichte bis zum Kinn. Aus der Stirn wuchsen Hörner. Wie kleine Jungs es eben tun, liebte er sie genau wegen ihrer Hässlichkeit. Er bat seinen Vater, ihm eine als Erinnerungsstück zu kaufen, aber sie waren zu teuer, und so gab er sich stattdessen mit einer Kassette mit der Musik des Stückes zufrieden.
Die Kassette hat er immer noch. Das Cover ist verblasst, und die Aufnahme rauscht ein wenig, aber sie ist noch spielbar. Sein Gettoblaster aus der Highschool steht noch immer auf seiner Kommode, und jetzt schiebt er die Kassette hinein und dreht die Lautstärke hoch.
Das schilfige Pfeifen einer Flöte füllt den Raum, gefolgt von einem Trommelwirbel wie Pistolenschüsse. Er fängt an zu tanzen. Das Fellkostüm wiegt ungefähr dreißig Pfund, und anfangs bewegt er Arme und Beine noch ziemlich unbeholfen – er muss sich erst an seine zweite Haut gewöhnen –, doch bald fühlt er sich darin wohler, und seine Bewegungen werden flüssiger. Schweiß läuft ihm über Rücken und Bauch. Unter der Maske ist das Atmen wie ein starker Wind.
Während die Musik läuft und er durchs Zimmer hüpft, wird sein Schädel zu einer Art Dunkelkammer. Bilder werden in ätzende Flüssigkeiten getaucht. Zuerst sind sie weiß. Dann schwärzen sie sich an verschiedenen Stellen und zeigen eine nackte Frau mit
Weitere Kostenlose Bücher