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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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Nacht aufwachten und ihre Frauen irakische Schweine schimpften und versuchten, sie zu erdrosseln. Er fragte sich, ob sie sich je auf den Boden warfen und den Kopf mit den Armen bedeckten, weil sie das Knirschen von Kies unter Autoreifen für Maschinengewehrfeuer hielten.
    »Ich fahre da also auf den Parkplatz gegenüber vom Außen ministerium und stelle mich neben diesen gelben irakischen Armeelaster.« Dave redet laut und gestikuliert mit den Händen, seine abgenagten Fingerspitzen stechen durch die Luft. »Ich gehe über die Straße und höre dieses Bumm – Kabumm –, so laut, dass ich es in meinen Eingeweiden, in meinen Knochen spüre. Ich drehe mich um und sehe den Laster in einer Wolke aus Rauch und Feuer durch die Luft segeln. Und mein Hummer ist hinüber, nur noch ein schwelender Schrotthaufen. So dicht dran war ich – nur eine Minute entfernt von siebzig Jungfrauen und tausend Cheeseburgers oder was einen auf der anderen Seite sonst erwartet. Der Sprengsatz war mit Magneten an der Unterseite des Lasters befestigt. Knapper geht’s nicht. Außer eben doch. Das müsst ihr euch vorstellen – ich spüre diese Hitze, dieses Stechen und schaue nach unten und sehe dieses Loch in meiner Hose, groß wie ein Vierteldollar, von einem Schrapnell direkt in die Leiste gebrannt.« Er reißt die Augen auf. »Verdammte Scheiße!«
    Es war eine Geschichte, die sie bereits gehört hatten. Brian fragte sich, ob er sie auch bei Kinko’s erzählte, vielleicht im Pausenraum im Kreis seiner Angestellten, mit vorgerecktem Kinn, das dunkelrote Hemd in die Kakihose gesteckt und mit einem Sierra Mist in der Hand. »Du bist jetzt zu Hause«, wollte Brian ihm sagen. »Hör endlich auf, den harten Hund zu spielen.« Mit einem leisen Schmatzen öffnete sich sein Mund, aber es kamen keine Wörter.
    Sein Kopf fühlte sich warm an und sein Hirn wattig und seine Blase, als würde sie gleich platzen, deshalb entschuldigte er sich und ging auf die Toilette und suchte sich eine Kabine und setzte sich auf die Schüssel, weil er nicht die Energie zum Stehen hatte. Er stützte den Kopf in die Hände und lauschte den gurgelnden Waschbecken und den röhrenden Trocknern und den Männer, die an den Urinalen zu laut miteinander sprachen. Im beständigen Kommen und Gehen schwang die Tür auf und wieder zu und es klang wie das langsame Knattern von Rotorblättern. »Ich bin müde«, sagte er zu allen und keinem. Hinter seinen Augen pochte es. Er schloss sie, vielleicht für eine Minute, vielleicht für eine Stunde.
    »Ich bin müde.« Das war nicht seine Stimme. Die Stimme kam aus dem CSH, dem Bett neben ihm, in dem ein völlig mit Gaze umwickelter Mann lag. Er hatte als Spurensucher in Saqlawiyah gearbeitet. Eine Bombe hatte ihm die linke Seite seines Gesichts weggeschmolzen. Die Sprengladung war in einem Abwassergraben am Straßenrand platziert. In der Bombe war Seifenpulver, das Feuer klebte deshalb an ihm und hinterließ etwas, das aussah wie gekauter Gummi mit roten Farbspritzern. Die Ärzte nannten ihn Two Face, Doppelgesicht. Er lebte nur noch drei Tage, und in dieser Zeit war von ihm nichts zu hören außer diesem geflüsterten »Ich bin müde, ich bin müde«.
    Sein Vater hatte dasselbe gesagt. Sein Vater, der gesoffen hatte, der seine Frau an einen anderen Mann verloren hatte, den Sportlehrer mit der Pfeife um den Hals und Bürstenschnitt, Lonnie. M. Wise, der an derselben Grundschule unterrichtete wie sie. Es lag nicht daran, dass Brians Vater irgendetwas getan hatte. Sie hatte ganz einfach die Liebe zu ihm verloren. So einfach war das. Sie und Lonnie waren nach Eugene gezogen, um dort ein neues Leben anzufangen, hatten Brian und seinen Vater alleingelassen mit ihrer Tiefkühlnahrung und ihren Haufen schmutziger Wäsche. Brian war zu der Zeit ein Teenager. Eines Abends wachte er vom Geräusch brechenden Glases und dem Schreien seines Vaters auf. Er kroch aus dem Bett und steckte den Kopf aus der Tür, um im Gang einen Keil gelben Lichts zu sehen. Er folgte ihm in die Küche und sah dort seinen Vater mit dem Rücken am Kühlschrank auf dem Boden sitzen. Er drückte sich Daumen und Zeigefinger gegen die Nase und versuchte, dort einen Schmerz zu lösen. Es war kalt in der Küche, und als Brian zum Fenster über dem Waschbecken schaute, sah er, dass die halbe Scheibe fehlte, eine hindurchgeworfene Bierflasche hatte ein schwarzkantiges Loch gerissen. Draußen schneite es und die Flocken wehten durchs Fenster in die Küche, wo sie herumwirbelten

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