Wölfe der Nacht
erwartete, welchen Berufsweg er auch einschlug. Also ließ er das links liegen und unterschrieb die Papiere, wobei er nie auf den Gedanken kam, dass die Türme einstürzen würden und in diesem feurigen Augenblick das, was ihm als die richtige Entscheidung erschienen war, schrecklich falsch wurde, denn es setzte ihn aus auf dieser Kreuzung des Lebens, in dieser Bar in Portland, unter diesen Männern, die ihn an alles erinnerten, was er vergessen wollte, mit einem durchlöcherten Schädel und einem vernarbten Hirn, das weder Freundschaft noch Liebe noch sonst ein menschliches Sehnen verarbeiten konnte außer Wollen und Nichtwollen.
Und da war wieder sein Vater, halb ausgestreckt auf dem Boden, mit den Schneeflocken, die durchs Fenster wehten, den Boden bestäubten und um das Deckenlicht wirbelten, so dass es aussah wie eins von Van Goghs Sternenbildern. »Geh einfach ins Bett, Brian. Wir sollten beide ins Bett gehen.« Wieder versuchte er aufzustehen, Brian streckte ihm die Hände entgegen, und sein Vater nahm sie und drückte sie, massierte ihre Knöchel und sagte: »Achte nicht auf deinen Alten. Ich bin betrunken. Du kannst mich sehen, aber ich bin nicht da.«
Als Brian in ihre Gesichter sah, wusste er, dass sie genau das dachten: Wir können dich sehen, aber du bist nicht da. Du bist nicht Brian. Und in gewisser Weise hatten sie recht.
Dave sagte: »Alles okay?«
»Mir geht es gut. Bin nur müde.«
Eine Weile saßen sie schweigend da, hoben die Gläser an den Mund, kauten die wenigen kalten Fritten, die noch auf ihren Tellern lagen. Dann fing Dave an zu erzählen, dass er nach seiner Heimkehr aus »dem Theater« – so nannte er den Krieg immer, das Theater – sich angewöhnt hatte, seine Uniform zu tragen. »Macht ihr Jungs das auch manchmal? Sie einfach anziehen, um sich an das Gefühl, den Geruch zu erinnern? Den Rucksack mit Steinen füllen und im Garten herummarschieren und vor einem Baum salutieren?« Er grinste verlegen, was er eben gesagt hatte, war ihm peinlich. Sein Blick konzentrierte sich auf die gelbe Tiefe seines Biers, aus der Blasen aufstiegen und aus dem Glas entwichen, so wie Gedanken in seiner Kehle aufstiegen und durch den Mund entwichen. »Wie auch immer. Einmal habe ich sie im Supermarkt getragen. Man spürt da irgendwie eine Energie, wisst ihr. Eine gewisse Macht.« Seine Aussprache war feucht und weich, die Wörter undeutlich. »Wenn man herumgeht und alle lächeln einem zu und schauen einen an, mit, na ja, ihr wisst schon, einer gewissen Ehrfurcht? Es ist, als wäre man was Besonderes, nicht nur ein X-Beliebiger. Ich bin also im Safeways und da kommt dieser kleine alte Mann auf mich zu und schüttelt mir die Hand und sagt: › Ich bin stolz auf Sie. ‹ Das war ein gutes Gefühl.« Er nagte an seinem Daumennagel, verstümmelte ihn mit kleinen Bissen seiner Zähne. Blut quoll heraus, und er leckte es ab und wickelte den Daumen dann in eine Papierserviette.
Dave war stolz auf sich selbst, auf das, was er dort drüben getan hatte, Brian dagegen fühlte überhaupt nichts – weder Stolz noch Groll –, nur eine gewisse Leere, wie eine Stelle auf einer Tafel, über die man einen Schwamm gezogen hatte, so dass die Wörter unter dem weißen Schmierfilm noch schemenhaft zu erkennen waren. Er nahm den Krug und goss sich noch ein Glas ein. Er musste sich konzentrieren, um das Glas zu treffen, um das Bier nicht überfließen zu lassen.
Jim und Dave begannen nun eine Geschichte über einen Marine, den sie gekannt hatten und der die amerikanische Botschaft bewacht hatte, einfach völlig durchdrehte und mit seinem Auto über den Rand des Grand Canyon gerast war. »Das Theater«, sagte Jim immer wieder. »Das Theater.« Brian fragte sich, ob Dave das Wort in einer Nachrichtensendung gehört oder in einem Buch gelesen und für so bedeutend gehalten hatte, dass er es in seinen Wortschatz aufnahm, das Theater. Brian störte das Wort entsetzlich – das Prätentiöse daran –, aber schlimmer noch, es ließ ihn an den Irak als eine Art Bühne denken, auf der sie alle Kostüme trugen und leere Sätze leierten und Papppanzer fuhren, die man mit der Faust durchlöchern konnte, während im Zuschauerraum Menschen mit leeren Gesichtern saßen, die gähnten und auf die Uhr schauten und ungeduldig auf das Ende der Aufführung warteten.
Falls irgendetwas das Theater war, dann dies – diese Welt, die er seit seiner Rückkehr bewohnte. Wie ein Schauspieler musste er sich überlegen, wie andere ihn in jedem
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