Wölfe der Nacht
Frage suchen, schließlich findet er eine: »Dad?«
Zwanzig Meter vor ihm bleibt sein Vater stehen und betrachtet Justin mit erhobenen Augenbrauen.
»Wir haben Graham verloren«, sagt Justin und spürt die vertrauten Nadelstiche der Panik. Hastig läuft er den Weg zurück, den sie gekommen sind, stößt dabei gegen Bäume und ruft seinen Sohn. Seine Arme schieben Äste beiseite, die zurückschnellen und seine Wangen zerkratzen.
Er läuft nur ein kurzes Stück, bis er seinen Sohn auf einem Baumstamm findet. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, sitzt er da, sein Rucksack steht vor ihm auf dem Boden.
Justin weiß nicht, wonach ihm mehr zumute ist, Graham in den Arm zu nehmen oder ihm eine Ohrfeige zu verpassen. »Was zum Teufel treibst du? Hast du dir was getan?«
»Irgendwie.«
»Was soll das heißen, irgendwie?«
»Ich bin müde.«
Justin schüttelt frustriert den Kopf und macht sich gleichzeitig darüber Gedanken, was sein Vater wohl sagen würde. Er dreht sich um und sieht ihn mit Boo an seiner Seite durch die Bäume brechen. Sein Bauch schwabbelt beim Laufen hin und her und sein Atem kommt in keuchenden Stößen. »Was ist los?«
»Nichts ist los.« Justin nimmt seinen Rucksack ab, zieht eine Wasserflasche aus einer seitlichen Netztasche und wirft sie Graham zu. Er fängt sie, und das Wasser in ihr schwappt, als er sie aufschraubt und einen großen Schluck trinkt. »Graham musste sich nur einen Schuh zubinden.«
»Warum hat er nichts gesagt?«
Über den Rand der Wasserflasche sieht Graham Justin an, der ihm zuzwinkert und hofft, dass sein Sohn versteht, was er tut, ihn vor dem Sarkasmus seines Großvaters bewahrt. »Hat er«, sagt Justin. »Wir haben ihn nur nicht gehört.«
»Das nächste Mal rufst du lauter.« Justins Vater schlägt sich auf den Unterarm und hinterlässt dort einen schwarzen Fleck. »Wenn du dich verirrst, machst du dir in die Hose und schreist nach deiner Mama.«
Boo geht zu Graham und leckt ihm die Knöchel. Graham krault den Hund hinter den Ohren, schraubt dann die Wasserflasche zu und wirft sie Justin mit einem Ausdruck feuchter Dankbarkeit in den Augen wieder zu.
»Gehen wir.« Justin steckt die Flasche in die Tasche zurück, nimmt sich den Rucksack auf den Rücken, schließt die Brust- und Bauchschnallen und zieht die Riemen straff. »Da draußen ist irgendwo ein Bock mit deinem Namen drauf.«
Justin schaut sich öfters nach Graham um, während sie sich den Abhang hochkämpfen, manchmal auf Nadeln am Boden ausrutschen, immer die Hände auf den Knien, um ihrem Steigen zusätzlichen Schub zu verleihen. Die Bäume bleiben zurück, als sie zu einem Felsabsatz kommen, der sich breit in beide Richtungen ausdehnt und hinter dem es dunkel in die Höhe geht. Er ist bedeckt mit grünlich-gelben Flechten, die unter Justins Berührung zu einem kreidigen Staub zerbröseln. Risse durchziehen den Fels, aus denen braunes Gras wächst. Sein Vater sagt: »Wenn wir dem Absatz hier nach Osten folgen, nur noch ein kleines Stück, dann bin ich mir fast sicher, dass wir zu der Wiese kommen.«
Da es von einem Mann kommt, der alles sicher zu wissen scheint, trägt dieses fast viel totes Gewicht. Justin hört es ihn nicht gern sagen, vor allem da Graham so müde und die Sonne so hoch und heiß ist. Er nimmt seine Kappe ab und wischt sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.
Sie gehen einen schmalen Korridor entlang, mit dem Wald zu ihrer Linken und der vertikalen Felswand zu ihrer Rechten. Loses Gestein knirscht unter ihren Stiefeln und macht jeden Schritt zu einer Rutschpartie, als liefen sie auf Schnee. Mehr als einmal fällt Graham beinahe, und jedes Mal streckt Justin den Arm aus, um ihm Halt zu geben. Wasser dringt aus einem Spalt in der Felswand und plätschert in eine algenüberwucherte Rinne, die im Wald verschwindet; im Vorübergehen schöpfen sie mit beiden Händen Eiswasser, spritzen es sich ins Gesicht und fühlen sich erfrischt.
Sie gehen um eine Ecke und die Bäume öffnen sich zu einer Bärengraswiese mit herbstblühendem Bitterbusch und Brombeerranken an den Rändern.
»Gott sei Dank«, sagt Justin.
Sein Vater kauert sich neben Boo und flüstert ihm etwas ins Ohr, bevor er ruft: »Such!« Auf diesen Befehl hin rennt der Hund in die Wiese, die Sonne gleitet über sein glänzendes schwarzes Fell und lässt es fast metallisch wirken. Auch aus der Entfernung kann er das Schnuppern und Schnauben hören, mit dem Boo die Schnauze ins Gras drückt. Zuerst rennt der Hund nur
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