Wölfe der Nacht
Schreibtisch und den Stapel von unkorrigierten Hausaufgaben, der darauf liegt. All das ist jetzt irgendwo anders, wurde ersetzt durch einen Drang, eine Wildheit.
»Hey, Dad. Weißt du, was ich glaube, was eine gute Farbe für deine Haut wäre?« Sein Vater schaut ihn nur flüchtig an, doch Justin nimmt sich eine Handvoll Blut und klatscht sie ihm ins Gesicht, wie man es mit einer Sahnetorte machen würde. »Rot!«
Sein Vater weicht zurück, bis die Felswand ihn stoppt. Noch einen Augenblick zuvor hat Justin gelächelt, doch jetzt vergeht ihm das Grinsen, er fragt sich, was ihn da übermannt hat, und versucht, den Ausdruck seines Vaters zu lesen. Pauls Gesicht ist eine rote Maske. Er fährt sich mit den Fingern über die Wangen und zieht so fleischfarbene Linien durch das Blut. »Ich hab schon immer gewusst, dass du verrückt bist«, sagt er. Blut tropft ihm in den Mund, und er spuckt es wieder aus. Dann greift er in den Eingeweidehaufen und bewirft Justin mit einem Lungenflügel, der ihm die Kappe vom Kopf reißt.
Und eine Weile sind sie einander so nahe, wie sein Vater sie immer haben wollte, auf diese altmodische Art, wie die Männer in Western, die freundschaftlich miteinander raufen und am Lagerfeuer dröhnend lachen.
Das getrocknete Blut zeichnet ein schauerliches braunes Spitzenmuster auf ihre Haut, so dass sie einander kaum erkennen, als sie ins Lager zurückkehren, beladen mit ihren Kühlbeuteln voll zerteiltem Fleisch. Sie verstauen das Wild in ihrer Fünf-Tage-Kühlbox und legen die Kühlelemente zwischen die Koteletts und Steaks und Braten, damit sie nicht verderben.
Dann stöbern sie im Zelt und witzeln über Schlangen, während sie sich frische Jeans und T-Shirts und Unterwäsche zusammensuchen, und gehen zum Fluss hinunter und ziehen die blutverkrusteten Klamotten aus und steigen nackt ins Wasser, das so kalt ist, dass es ihnen den Atem nimmt und sie zittern und brüllen lässt. Kurz bespritzen sie sich gegenseitig und nehmen dann Hände voller Sand und reiben Blut und Schweiß damit ab, bis ihre Haut sauber und rosa leuchtet. Während sich die rote Schale von Justin ablöst, sich im Fluss verteilt und davongetragen wird, spürt er, wie die Wildheit von zuvor verschwindet und sein Verstand zurückkehrt.
Etwa um diese Zeit, während der Nachmittag langsam verklingt, taucht sich das Land in satte, sanfte Grün- und Gold töne. In der Feuergrube stapeln sie ein kniehohes Tipi aus Ästen. Sein Vater reißt ein Streichholz an und wirft es in ein Häufchen aus braunen Kiefernnadeln, die sich knisternd entzünden. Die Flammen arbeiten sich an den Stecken hoch, und als sie eine weiße Glut erreicht haben, legt Justin ein dickes Scheit hinein und auch das fängt Feuer. Sein Vater holt drei Coors aus einem Steinkreis, den er in den Fluss gebaut hat. Er gibt Justin eins und eins Graham.
»Ähm«, zögert Justin. »Wie wär’s mit Nein?«
»Na komm.« Sein Vater schlägt den vertraulichen Kumpelton an. »Bring deinem Jungen bei, wie man ein Bier trinkt und mit einem Gewehr schießt. Mach einen Mann aus ihm.« Er reißt die Lasche von seiner Dose. Das Bier schäumt heraus, und als er daran schlürft, bleibt Schaum in seinem Bart hängen. »Was ist denn los mit dir? Also komm. Lass ihn doch ein Bier trinken. Sei kein Weichei. Sei kein Mädchen. Wir müssen einen Mann aus ihm machen. Deshalb habe ich ihn hierher mitgenommen. Deshalb hast du ihn auch mitgenommen, oder?«
Justin weiß nicht so recht, ob er diese Frage beantworten kann; mit der Antwort darauf schlägt er sich herum, seit sie aus dem Bronco gestiegen sind.
»Warum sonst, wenn nicht, um –«
»Na gut«, sagt Justin. »Aber nur eins.« Er hebt den Zeigefinger in die Höhe, um die Anzahl anzudeuten, und senkt ihn dann, um auf Grahams Brust zu zielen. »Und wieder – deine Mutter, sie sollte nichts davon erfahren.«
»Ich sag ihr nichts.« Graham dreht das Bier in seinen Händen, als hätte er noch nie eins gesehen. Er öffnet es behutsam, zuerst zischt es nur aus der Lasche, dann reißt sie ganz ab. Als er seinen ersten Schluck nimmt, zeigt sein Gesicht einen gewissen Widerwillen gegen den Geschmack, aber er beklagt sich nicht.
Sie trinken das Bier – sehr kalt – und dann gehen Graham und sein Großvater in den nahen Wald, um wilde Zwiebeln zu sammeln. Sie schneiden sie in fingernagelgroße Stücke und braten sie in Butter, bis sie karamellisieren, und sie schmecken gut, wie Bonbons, zu dem Wild, das sie über dem Feuer gegrillt haben.
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