Wölfe der Nacht
Aquarium und eine Rutschstange wie bei der Feuerwehr, die vom Obergeschoss nach unten führt. Jeder hat ein eigenes Schlafzimmer. Der Moderator hat der Mutter den Arm um die Schultern gelegt, und sie lächelt, während ihr die Tränen über die Wangen rinnen. »Das ist ein neuer Anfang«, sagt sie. »Das ist das Leben, das ich mir immer erhofft habe.«
Brian schaltet den Fernseher aus und mustert sein Spiegelbild im dunklen Bildschirm – die jetzt mit Blut gefüllten Muskeln wie gefangen in der Haut. Dann geht er ins Schlafzimmer, um das restliche Kostüm anzuziehen.
Die Fahrt dauert zehn Minuten. In der Stadt werfen die Laternen in unregelmäßigen Abständen müde Lichtkreise, die jedoch bald der Dunkelheit der Straßen in den Außenbezirken weichen. Er muss sich konzentrieren, um die Räder auf der Straße zu halten. Mehr als einmal schlittert er aufs Bankett, und der Kies, der im Radkasten klappert, erschreckt ihn so, dass er das Steuer herumreißt. Er parkt ungefähr hundert Meter entfernt, auf derselben Forststraße wie beim letzten Mal. Als er aussteigt und durch den Wald auf das Haus zugeht, hat er es nicht eilig und er wirft auch keine ängstlichen Blicke über die Schulter. Die Nacht ist für ihn vertraute Umgebung. Und in dem Kostüm kommt er sich unsichtbar vor.
Das Wohnzimmerfenster ist in wässrig blaues Licht vom Fernseher getaucht. Er schleicht sich hin und späht hinein. Zuerst findet er sie nicht. Er sucht an den üblichen Stellen nach ihr, auf der Couch, dem Zweisitzer. Dann fällt ihm eine Bewegung ins Auge, und er richtet sich ein Stückchen auf und sieht sie auf dem Teppich, wo sie Klappmesser macht. Sie trägt einen schwarzen Sport-BH und eine Yoga-Hose. Sie schaut sich eine Kochsendung an, eine Art Wettbewerb mit Leuten, die in weißen Kochjacken mit Messern hantieren. Ihr Gesicht ist verzerrt, als hätte sie Schmerzen, aber sie hört nicht auf, rastet nicht, zieht weiter mit ausgestreckten Armen die Knie an die Brust. Brian sieht zu, wie sie mindestens fünfzig macht, bevor sie sich auf den Rücken plumpsen lässt.
Brian duckt sich hinter einen Strauch, als ein Auto vorbeifährt. Dann steigt er auf die Veranda hoch, versucht, so leise aufzutreten, wie es nur geht. Er erwartet, dass die Tür verschlossen ist, was sie auch ist, deshalb zieht er den Schlüssel aus der Tasche und schiebt ihn ins Schloss, das sich mit leisem Klicken öffnet. Und dann ist er einfach so im Haus, steht in einer kurzen Diele mit einer Garderobe und einem Spiegel und derselben Ansammlung von Schuhen, die er schon einmal gesehen hat. Draußen fährt wieder ein Auto vorbei, das Licht seiner Scheinwerfer zuckt übers Haus und lässt den Spiegel aufblitzen. In diesem Augenblick bewegt sich Brians Spiegelbild vom Schatten ins Licht – die Maske auf seinem Gesicht wirkt plötzlich böse und knurrend –, und er schreit beinahe auf.
Stattdessen atmet er einmal tief durch. Und hat plötzlich Karens Geruch in der Nase: zitronig mit einem Hauch Schweiß. Es ist ein Geruch, für den er sich einen Geschmack vorstellt.
Bis auf die Küche sind alle Lichter ausgeschaltet. Direkt vor ihm öffnet sich in der linken Wand ein Durchgang zum Wohnzimmer. Er späht hinein und sieht sich die Einrichtung an: Bücherregale an den Wänden. Eine Couch mit einem Stapel Wäsche darauf und ein Zweisitzer mit einem Beistelltisch, auf dem eine ausgeschaltete Lampe steht. Der Fernseher in der Ecke. Und Karen auf dem Boden, wo sie mit schnellen Bewegungen noch eine Runde Klappmesser macht.
Sie liegt so, dass Brian in ihrem Rücken steht, er kann deshalb ins Zimmer treten, ohne gesehen zu werden. Bei jedem Klappmesser gibt sie ein leises, zufriedenes Grunzen von sich, und dieses Geräusch und die Geräusche der Kochsendung überdecken seine Schritte, als er durchs Zimmer geht und sich hinter den Zweisitzer duckt. Im trüben Licht des Fernsehers wirkt ihre Haut blass, wie die Innenseite eines Handgelenks. Brian stellt sich vor, dass er sich räuspert, um seine Anwesenheit zu melden. Er stellt sich vor, was dann passieren würde. Sie würde schreien und nach etwas greifen – nach einer Lampe vielleicht –, um ihm damit auf den Kopf zu schlagen, aber dann würde er seine Maske ausziehen, und sie würde »Oh« sagen, und er würde sagen: »Ja, ich bin’s«, und sie würde die Lampe wegstellen und ihn neugierig anschauen – ein bisschen ängstlich, ja, aber vor allem neugierig. Nachdem sie ihn gerügt und gesagt hätte: »Sie hätten klopfen
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