Woelfin des Lichts
fiel ihr schwer zu glauben, dass jemand mit Michael nicht zurechtkommen könnte.
Dieser rothaarige Mann, dessen unzählige Sommersprossen, besonders wenn er lächelte, über seine Nase zu hüpfen schienen, machte auf Sara einen völlig harmlosen Eindruck.
Jack, der ihre Gedanken erraten hatte, nickte und fügte hinzu: „Du hast Recht, Michael, der doch so nett und freundlich ist und keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte. Aber genau das war sein Problem. Er eckte dadurch überall an. Weder beteiligte er sich an nächtlichen Überfällen, die unter vielen Werwölfen ein beliebter Sport sind, noch interessierte ihn, was die anderen über ihn dachten. Nach wie vor steckt er seine Nase lieber in seine Bücher als am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
In seinem damaligen Rudel galt Michael als Außenseiter, sei ne Ansichten als merkwürdig und seine Ambitionen als leistungsschwach. Deshalb bot er das perfekte Angriffsziel für sie.“
Dieses Argument konnte Sara durchaus nachvollziehen. Wer Schwäche zeigte, stand auf der untersten Leiter der Hierarchie, wurde von vie len verachtet und gemieden und im Extremfall sogar angegriffen.
„Deshalb kam Sophie zu mir und fragte mich, ob sie beide nach Roseend umsiedeln und ich sie in meinem Rudel aufnehmen könnte. Es imponierte mir, dass sich Sophie Sorgen um einen vermeintlich geächteten Werwolf machte, und so kam eines zum anderen. Leider merkte ich zu spät, dass sie nicht ganz so selbstlos war, wie ich dachte. Michael, der sie seit Kindertagen vergötterte, tat von jeher alles, was sie wollte. Ohne Skrupel nutzte Sophie dieses Wissen und ließ ihren Partner für sich springen. Natürlich blieb ihm nicht verborgen, dass sie und ich etwas miteinander hatten, doch das war für ihn scheinbar nicht Grund genug Sophie aufzugeben oder etwa zu durchschauen. Am Ende beendete ich unser Verhältnis. Sophie hatte mich von Anfang an belogen. Zu keiner Zeit hatte sie sich gänzlich von Michael getrennt, und nach dem Scheitern unserer Beziehung, noch bevor die beiden nach Roseend zogen, heirateten sie.“
Jack fühlte, wie Saras Hand in seiner zu zittern begann. In der Annahme, dass sie aus Mitgefühl so reagierte, verstärkte er sachte seinen Griff.
In Wahrheit wirbelten ihr völlig andere Dinge durch den Kopf. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, Jack von Simon zu erzählen. Doch sie brachte es nicht über sich, das, was ihr zugestoßen war, erneut aufleben zu lassen. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Zum einen schämte sie sich immer noch entsetzlich, ihm hörig gewesen zu sein, seinetwegen sogar Hals über Kopf ihr Zuhause verlassen zu haben. Des Weiteren quälte sie die Sorge, dass Jack sie nach dem Grund fragen und sie ihn spätestens dann würde anlügen müssen. Stattdessen klammerte sie sich an die Hoffnung, dass es nie dazu kommen würde. Sie hatte an seinem verletzten und obendrein wütenden Gesichtsausdruck erkannt, dass er Lügen verabscheute. Etwas zu verschweigen, könnte von ihm als Unwahrheit oder zumindest als Vertrauensbruch angesehen werden. Sara würde mit dieser Lüge leben müssen, wollte sie nicht Gefahr laufen, ihn wieder zu verlieren. Und dazu war sie auf keinen Fall bereit.
Anstatt, wie von Jack zu Beginn ihres Gespräches erhofft, aus ihrer Vergangenheit zu erzählen, stand sie auf, zog ihn mit sich durch die Tür und strebte in Richtung ihres Schlafzimmers.
Sara wollte nicht über ihre Probleme nachdenken und Jack würde sie für eine kurze Zeit ihre Sorgen vergessen lassen.
Als sie sich am Morgen voneinander verabschiedeten, überreichte ihm Sara wortlos ihren Zweitschlüssel. Amüsiert beobachtete sie, wie sich seine anfängliche Ungläubigkeit in Freud e verwandelte. Auch für sie war es ein großer Schritt, ihm durch diese kleine Geste den Zutritt zu ihrem Zuhause und ihrem Herzen zu gewähren.
Seit einer Woche schon war Jack unterwegs. Sara vermisste ihn und stellte bald fest, dass ihr die Stunden ohne ihn leer und sinnlos vorkamen. Obwohl sie sich, wie versprochen, täglich bei ihm meldete, war dies nur ein kleiner Trost. Über Langeweile hätte sie sich allerdings keine Sorgen machen müssen. Ihr Cottage kam ihr momentan wie ein Taubenschlag vor. Merkwürdigerweise gaben sich die Bewohner von Roseend die Türklinke in die Hand. Entweder war es Mina, die zufällig vorbeikam, hin und wieder mit Jafa im Schlepptau oder Michael und Sophie standen unverhofft an der Tür, um sie zum Tee einzuladen. Saras zweiter Eindruck von den beiden
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