Wolfgang Hohlbein -
König oder ein Kaiser oder ein Papst ist, der herrscht, es gibt immer Herrscher und Beherrschte, und es gibt immer solche, die schlagen, und solche, die geschlagen werden. Sie wollten nicht mehr zu denen gehören, die geschlagen werden. Das war alles.«
»Aber sie hätten sich an die Kirche um Hilfe wenden können«, protestierte Tobias.
»Das haben sie getan«, erinnerte Katrin. »Hast du vergessen, was ich dir über den Pfarrer erzählt habe? Sie haben ihn angefleht, ihnen zu helfen, aber er hat sie davongejagt und beschimpft. Er war ein korrupter alter Mann, der auf seine Weise ebenso an der Macht hing wie Theowulf.«
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Katrin schwieg plötzlich, und Tobias glaubte in einen Mahlstrom der Gefühle geraten zu sein. Er hieß es nicht gut, er akzeptierte es nicht einmal, aber er verstand, warum die Menschen von Buchenfeld so gehandelt hatten. Es waren stets die Geknechteten und Ärmsten, die der Verlockung einer neuen, falschen Religion am leichtesten erlagen. Und
- so ketzerisch sein eigener Gedanke ihm vorkam - waren es am Anfang der Christenheit nicht auch die Armen gewesen, die Besitzlosen und Sklaven, die den Worten des Herrn als erste Gehör schenkten?
Er verscheuchte den Gedanken beinahe entsetzt und gab Katrin mit Blicken zu verstehen, daß sie weitersprechen sollte.
»Es wurde immer schlimmer«, berichtete Katrin. »Nachdem der Pfarrer geflohen war, wurde Theowulfs Terror unerträglich. Vielleicht gab es einen Verräter im Ort, der ihm erzählte, was vorging, vielleicht spürte er auch einfach den Widerstand, der sich allmählich gegen ihn bildete. Er mordete und brandschatzte schlimmer denn je, und
dann . . .«
». . . brachten sie ihn um«, sagte Tobias, als Katrin nicht weitersprach.
Sie nickte.
»Warst du dabei?« fragte er.
»Nein. Ich habe die ganze Geschichte erst später erfahren.
Als ich nach Buchenfeld kam, war alles schon vorbei. Verkolt hat sie mir erzählt. Sie kamen in der Nacht zum Schloß und erschlugen den Grafen und alle, die bei ihm waren. Die Leichen warfen sie in den Brunnen im Burghof und mauerten ihn zu. Du hast ihn gesehen.«
Tobias nickte. Sein Blick huschte über den See und all die Toten, die darin schwammen. »Aber wie kommen sie hierher?«
Katrin hob wieder die Schultern. »Der unterirdische Fluß«, sagte sie. »Er führt vom Brunnen hierher. Aber das wußte damals niemand. Sie schütteten den Brunnen zu und versiegelten ihn. Niemand konnte ahnen, was geschah.«
Tobias schauderte. Wieder suchte sein Blick die verwesten 405
Körper im Wasser. Die Geschichte, die Katrin erzählte, war vielleicht nicht nur die Geschichte eines schrecklichen Tyrannen, der ein ebenso schreckliches Ende gefunden hatte, sondern auch die Geschichte einer Rache, die die Toten an ihren Mördern nahmen.
»Es muß Jahre gedauert haben, bis sie hierhergetrieben worden sind«, fuhr Katrin fort. »Aber dann wurde der See zu dem, was er heute ist. Das Gift kroch langsam weiter und verpestete die Erde auf Meilen im Umkreis.«
»Weiß Theowulf davon?« fragte Tobias.
»Von diesem See?« Katrin nickte. »Ja. Aber was nutzt es schon? Er kann nicht hierherkommen und sie fortschaffen.
Sie zu berühren bedeutet den Tod.«
Tobias dachte schaudern an das, was ihm Derwalt erzählt hatte. Er war nur ein einziges Mal in das verdorbene Wasser dieses Sees gestürzt, und doch hatte diese flüchtige Berührung ihn sterbenskrank gemacht.
»Dann werden wir auch sterben«, murmelte er.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Katrin. »Vielleicht ja, vielleicht nein . . . Hast du Wasser geschluckt?«
Tobias nickte langsam, aber dann fiel ihm ein, daß er sich erbrochen hatte. »Wenn sich deine Wunde nicht infiziert, kommst du vielleicht mit dem Leben davon«, sagte Katrin.
»Es liegt allein in Gottes Hand, was weiter geschieht.«
»In Gottes Hand . . .« Die Worte klangen ihm wie bitterer Hohn. Für eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander in der unheimlichen, grünen Dunkelheit, und doch waren sie weiter voneinander entfernt als je zuvor in ihrem Leben.
Tobias fühlte sich sehr einsam.
Dann erhob sich Katrin und kroch auf Händen und Knien auf ihn zu. Ihre Hand ergriff seine Rechte. Ihre Haut war feucht, bedeckt mit dem dickflüssigen, giftigen Wasser des Sees, und obwohl er den raschen Schlag ihres Herzens durch die Haut hindurch spüren konnte, glaubte er für einen Moment, eine Tote zu berühren.
»Aber wie konnten sie all diese Jahre hindurch unentdeckt bleiben?« fragte er. »Wie konnte er
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