Wolfgang Hohlbein -
Anhieb. Erst beim dritten Mal stand er auf, fühlte sich aber so wackelig auf den Beinen, daß er nach der Tischkante greifen mußte, um nicht sofort wieder zurückzu-sinken.
Was war nur mit ihm los?
Noch immer drang Lärm vom Hof herein. Er hatte also nur wenige Augenblicke geschlafen, denn offenbar war die Jagdgesellschaft noch nicht aufgebrochen.
Oder kehrte sie bereits zurück?
Der Gedanke, womöglich stundenlang in diesem Sessel gesessen und geschlafen zu haben, erschreckte ihn so sehr, daß er für einen Moment sogar seine Müdigkeit vertrieb. Er atmete tief ein und aus, fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht und ging mit unsicheren Schritten zum Fenster, um hinauszublicken.
Der Hof war von brennenden Fackeln fast taghell erleuchtet. Fünf oder sechs von Theowulfs Männern bewegten sich im Schein der Fackeln und halfen der Gesellschaft, die Pferde aufzuzäumen oder in die Sättel zu steigen. Gelächter und Stimmen, das Knarren von altem Leder und das Klirren von Metall drangen an das Ohr des Mönchs, und er stellte erleichtert fest, daß die Jagdgesellschaft tatsächlich erst im Aufbruch begriffen war. Er hatte also nur wenige Minuten geschlafen.
Aber das war an sich schon sonderbar genug . . .
Er war zwar müde - das Reiten hatte ihn mehr ange-
strengt, als er sich eingestehen wollte -, aber so müde, daß er mitten im Gespräch mit Theowulf einschlief, nun doch nicht.
Nun - vielleicht hatte er seine Kräfte einfach überschätzt.
Seit er nach Buchenfeld gekommen war, hatte er keine Nacht mehr ausreichend geschlafen.
Er sah dem Treiben unten auf dem Hof noch eine Weile zu, dann drehte er sich herum, ging zum Tisch zurück und griff nach einem der beiden Krüge, die neben dem Essen standen.
211
Er enthielt Wein. Tobias stellte ihn zurück, nahm den anderen Krug und stellte zufrieden fest, daß er mit Wasser gefüllt war. Er benetzte sein Gesicht damit, schöpfte eine weitere Handvoll, die er sich in den Nacken rieb, und schauderte, als er die Kälte spürte.
Seine Arme und Beine fühlten sich bleiern an, doch es gelang ihm jetzt, zumindest die Augen offenzuhalten. Einen Moment fragte er sich, ob Theowulf ihm etwas in den Wein geschüttet hatte, damit er schlief. Aber er verjagte den Gedanken fast so schnell, wie er ihm gekommen war.
Warum sollte der Graf das tun? Außerdem hatten sie beide aus demselben Krug getrunken.
Tobias widerstand der Verlockung, sich noch einmal hin-zusetzen und zu warten, daß Theowulf und die anderen endlich davonritten. Er wäre vermutlich auf der Stelle wieder eingeschlafen. So stand er eine ganze Weile neben dem Tisch, wobei er eiserne Kraft brauchte, um sich überhaupt auf den Beinen zu halten, und wartete darauf, daß das Stimmengewirr und das Hufgeklapper draußen auf dem Hof
nachließen. Es dauerte wahrscheinlich nur wenige Minuten, aber für ihn schienen Ewigkeiten zu vergehen.
Allmählich gelang es ihm, seiner Müdigkeit Herr zu werden. Als der Lärm und das Getrampel auf dem Hof allmählich verklangen, löste sich Pater Tobias von seinem Platz und schlurfte mit hängenden Schultern und kleinen, mühsamen Schritten zur Tür. Er verließ den Saal, ging die Treppe hinunter und stieß sich prompt den Kopf am Ausgang, weil er vergessen hatte, wie niedrig die Tür war.
Draußen auf dem Hof brannten noch immer die Fackeln, und in ihrem Schein sah er, daß Bressers und sein Pferd noch an der gleichen Stelle standen, an der sie selbst die Tiere zurückgelassen hatten. Auch die Männer des Grafen, die er von oben beobachtet hatte, waren noch da: der Torwächter, der Bresser und ihm aufgetan und sie zum Grafen geführt hatte, sowie drei oder vier andere, in einfache Gewänder gehüllte Gestalten, die ihn verwundert ansahen.
Tobias bewegte sich in Richtung des Pferdes, blieb dann stehen und drehte sich zur Seite. Seine Augen brannten wie 212
Feuer, und seine Stirn fühlte sich fiebrig und heiß an. Er hatte Durst. Mühsam schleppte er sich zum Brunnen,
streckte die Hand nach dem Eimer aus und erinnerte sich erst dann des Brettes, das über den Schacht gelegt war.
»Da werdet Ihr Pech haben, ehrwürdiger Herr«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Tobias wandte den Blick und erkannte den Wächter.
»Der Brunnen ist ausgetrocknet«, sagte der Mann mit einer erklärenden Geste. »Schon vor Jahren. Wir müssen das Wasser aus einer Quelle im Wald holen, eine halbe Stunde entfernt.«
Tobias senkte enttäuscht die Hand, preßte die Augen zu und atmete wieder vier-,
Weitere Kostenlose Bücher