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Wolfsdunkel -7-

Wolfsdunkel -7-

Titel: Wolfsdunkel -7- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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gegangen, um einen klaren Kopf zu bekommen und gleichzeitig den Einwohnern die Gelegenheit zu geben, sich in einer informelleren Umgebung als dem Rathaus an ihn zu wenden. Ich hatte versucht, ihn mir zum Vorbild zu nehmen, nur war bislang niemand während meiner morgendlichen oder abendlichen Spaziergänge auf mich zugekommen – mit Ausnahme von Balthazar.
    Während ich auf einer trockenen Scheibe Toast herumkaute, füllte ich Oprahs Wasserschale, anschließend machte ich mich trotz der frühen Stunde auf den Weg zur Arbeit. Ich hatte nichts Besseres zu tun.
    Mein Job war zeitaufwändig. Das war mir von Anfang an klar gewesen. Ich hatte meine ganze Kindheit und Jugend mit dem Bürgermeister unter einem Dach gewohnt und war die meiste Zeit mir selbst überlassen geblieben. Die langen, einsamen Stunden, die Nächte, in denen mein Vater nicht heimgekommen war, bevor ich schlief, die Notfälle, die ihn gerufen hatten und scheinbar immer dann erfolgten, wenn ich ihn am dringendsten brauchte.
    Als Teenager hatte ich geglaubt, dass alle anderen wichtiger wären als ich und er Lake Bluff auf eine Weise liebte, wie er mich niemals lieben könnte. Dementsprechend hatte ich nicht nur der Stadt, sondern auch seinem Amt eine kindische Ablehnung entgegengebracht und nie auch nur einen Gedanken daran zugelassen, mein restliches Leben hier zu verbringen, geschweige denn, das Amt des Bürgermeisters zu übernehmen.
    In den Straßen der Stadt ging es heute noch etwas geschäftiger zu als gestern, was sich im Verlauf der Woche noch steigern würde. Der altmodische Laden an der Ecke – eine Mischung aus Café und Apotheke, deren Inhaber jedermanns Zipperlein kannte und der die Kunden noch persönlich bediente, anstatt dies einem Angestellten zu überlassen – war geöffnet.
    In diesem Familienbetrieb war die Frau des Apothekers für die vordere Ladentheke zuständig, während die Kinder hinter dem Imbisstresen arbeiteten, wo man Thunfischsalat, Cola mit Kirschgeschmack, Eisbecher mit Karamellsauce und Schokoladenmalzgetränke bekam, die noch aus echtem Malz hergestellt wurden.
    Keine Megamarkt-Invasion in Lake Bluff, zumindest noch nicht. Ich wollte mir nicht ausmalen, was dann passieren würde. Für eine friedvolle Einigung gab es viel zu viele Schusswaffen in der Stadt. Die Menschen in Georgia nahmen es nicht freundlich auf, wenn jemand ihre Existenzgrundlage bedrohte, vor allem dann nicht, wenn es sich um finanzkräftige Konzerne mit Hauptsitz in weiter Ferne handelte.
    Ich wäre wie jeden Morgen einfach am Lake Bluff Drug and Sundry vorbeigelaufen, hätte dabei ins Schaufenster gespäht, um Mrs Charlesdown und dem ihrer Kinder, das an diesem Tag den kürzesten Strohhalm gezogen hatte und dazu verdonnert war, im Imbiss zu bedienen, zuzuwinken, wären nicht in alarmierender Vielzahl Kunden aus ihrem Laden geströmt.
    Selbst das hätte mich vermutlich nicht mehr unternehmen lassen, als den Leithammel zu befragen, doch dann zerriss ein schriller Schrei den wärmer werdenden, sonnigen Morgen.

6
    Ich stürzte zum Eingang und kämpfte gegen den Strom der Einheimischen und Touristen an, die mir entgegendrängten. Die Schreie hielten an; ihre Höhe vermittelte pures Entsetzen, was mich davon abhielt, irgendjemanden zu fragen, was zur Hölle los war.
    Ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten – das Gekreische ging mir durch Mark und Bein –, aber ich brauchte meine Hände, um die letzten Nachzügler aus dem Weg zu schieben, in den Laden vorzudringen und, der Lautstärke und Art der Schreie nach zu urteilen, weitere Morde zu verhindern.
    Doch als ich dann endlich vor der Kasse stand, sah ich nur eine junge Zigeunerin und ihr gegenüber Mrs Charlesdown, die sich als die Quelle der gellenden Schreie entpuppte. Ihr Mann und ihr ältester Sohn verharrten reglos ein paar Schritte entfernt und starrten die Zigeunerin mit aufgerissenen Augen an.
    „Was ist hier los?“, rief ich.
    Endlich stellte Mrs Charlesdown ihr Kreischen ein. Wortlos deutete sie auf das Mädchen. Ich begriff nicht, was so furchteinflößend an ihr sein sollte. Das Einzige, was ich sehen konnte, war ihr Rücken.
    Sie war groß und gertenschlank, und ihre Haare fielen über ihre weiße Bluse bis zum Bund ihres farbenprächtigen Rocks. Ihre Füße waren nackt, mit Ausnahme zweier goldener Zehenringe. Ich verstand noch immer nicht, was Mrs Charlesdown derart aus der Fassung brachte.
    Dann drehte sich die Zigeunerin um, und ich erkannte den Grund. Um ihren Hals hing

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