Wolfsdunkel -7-
ich klang wie jedes andere Vergewaltigungsopfer auf diesem Planeten. Ich hasste mich selbst.
„Weshalb hast du ihn nicht angezeigt?“
„Ich konnte nicht.“
„Natürlich hättest du gekonnt. Du willst, dass er dort draußen frei herumläuft und einer anderen das Gleiche antut?“
Ich hob den Kopf. „So ist er nicht.“
„Für mich scheint er exakt so zu sein.“
„Er machte Karriere im Büro des Gouverneurs. Es war sogar die Rede davon, dass er der nächste Gouverneur werden könnte.“ Ich holte tief Luft. „Ich dachte, dass niemand mir glauben würde, dass sie mich als irgendeine Exfreundin abtun würden, die nach ein paar Minuten Ruhm giert.“
„Du meinst nicht, dass diese Geschichte noch mal aufleben und dich in den Hintern beißen könnte?“
„Wiedenn?IchhabesieaußerdirundmeinerTherapeutinniemandemerzählt.Ichbezweifle,dasssiesieherumtratschenwird.Oderhastduetwavor,damitandiePressezugehen,Grace?“
„Du warst nicht beim Arzt?“
„Wozu? Ich hatte nur ein paar blaue Flecken. Nicht weiter dramatisch.“
„Ich spreche von Krankheiten oder einer Schwangerschaft, du Idiotin.“
„Danke. Das hilft.“
„Du musst dich untersuchen lassen.“
„Er hat ein Kondom benutzt.“
„Mit anderen Worten: Er hatte es geplant.“
„Männer schleppen nun mal Kondome in ihren Brieftaschen herum. So sind sie eben.“
Natürlich war Joshs Kondom nicht in seiner Brieftasche gewesen, sondern auf seinem Schwanz. So viel zum Thema Planung.
„Das Ganze liegt hinter mir“, behauptete ich. „Ich will einfach nur vergessen.“
„Und deshalb bist du nach Hause gerannt.“
„Ich bin nirgendwo hingerannt. Mein Vater ist gestorben. Lake Bluff brauchte einen Bürgermeister. Ich akzeptierte.“
„Du redest eine solche Scheiße. Ich staune, dass du nicht stinkst.“
„Nochmals danke! Das hilft mir unglaublich.“
„Du hast es nicht vergessen, Claire. Ich habe dich heute Abend mit Cartwright gesehen. Du warst zu Tode verängstigt.“ Ihre Miene wurde düster, und sie streichelte den Griff ihrer Pistole. „Hat er mehr versucht, als dich zu küssen?“
„Nein. Nicht wirklich.“
Er hatte mich festgehalten und mir das Gefühl gegeben, gefangen zu sein. Das war der Auslöser für den Flashback gewesen. Bis dahin hatte ich mich gut gefühlt. Sehr gut sogar.
„Cartwright spielt nicht in deiner Liga.“
Beleidigt versteifte ich mich, aber sie fuhr ungerührt fort: „Männer wie er gabeln in jeder Stadt eine Frau auf. Sie haben ihren Spaß, und am Ende der Woche ziehen sie weiter.“
Klang gut für mich. Keine Bindungen. Keine Verpflichtung, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit. Nur ein wenig horizontaler Tango, und fort waren sie, ohne dass man je wieder von ihnen hörte. Ich fragte mich, ob ich eine solche Abmachung öfter als einmal pro Jahr treffen könnte.
Grace’ Augen verharrten auf mir. „Willst du noch ein bisschen mehr von Atlanta erzählen?“
Ich schüttelte den Kopf. Darüber hatte ich schon ausführlich mit meiner Therapeutin gesprochen – zumindest so ausführlich, wie ich es jemals tun würde. Darüber zu reden, hatte nicht viel gebracht.
Grace stand auf, nahm ihr Glas und die Flasche. „Ich sollte aufbrechen.“
„Okay.“ Sie war enttäuscht von mir. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Ich war von mir selbst enttäuscht.
Grace hätte Josh nicht nur verhaftet; sie hätte ihm zusätzlich eine neue Körperöffnung beigebracht – genau an der Stelle, wo zuvor sein unkontrollierbarer Penis gewesen war.
Abrupt stand ich auf, schnappte mir mein Glas und ging ihr voraus nach drinnen.
Wir stellten alles auf dem Küchentresen ab. Grace berührte mich am Arm. „Wenn du noch mal darüber reden willst, ich bin da. Jederzeit. Bei Tag und bei Nacht. Falls du ihn anzeigen möchtest, helfe ich dir dabei.“
„Dafür ist es ein bisschen spät.“
Sie ging zur Haustür und warf mir einen Blick über ihre Schulter zu. „Es ist nie zu spät.“
„Ich will es einfach vergessen, Grace.“
„Was dir offensichtlich super gelingt.“ Damit zog sie die Tür hinter sich ins Schloss.
Sie hatte recht. Ich war nie über diese Nacht hinweggekommen. Mein Leben hatte sich in Davor und Danach aufgesplittet. Hätte ich wirklich vergessen, dann hätte ich … nun ja, vergessen.
Was mit Josh passiert war, würde für immer ein Teil der Person, die ich geworden war, bleiben. Es war eine lebensverändernde Erfahrung gewesen – denn hier war ich nun, zurück am Ausgangspunkt, und es
Weitere Kostenlose Bücher