Wolfsfieber - Handeland, L: Wolfsfieber
vermisste ich Charlies Waffe fast genauso sehr, wie ich Simon vermisste. Ich würde das Ding hier draußen niemals wiederfinden. Vermutlich war es längst auf den Grund eines trüben, schlammigen Lochs gesunken.
IchmachtemichaufdenWegzumBoot,alsplötzlic h – verflucht,ichkanntenochnichtmalseinenName n – aufdieLichtunggestürmtkam.DasBlutwarverschwunden;seineHautglänztefeucht.ErhattesichdasnasseHaarausdemGesichtgestrichen. Das Platschen, das ich gehört hatte, musste von ihm gekommen sein, als er sich im Fluss das Blut abgewaschen hatte. Aber das Knurren?
„Haben Sie irgendetwas gesehen? Oder gehört?“ Ich schien dazu verdammt zu sein, mich unaufhörlich zu wiederholen.
„Alligatoren.“ Er reichte mir das Handy. „Seien Sie wachsam.“
Knurrten Alligatoren? Ich wusste es nicht.
„Sie müssen die Polizeiwache des Landkreises St. Tammany verständigen.“
In Louisiana ist ein Landkreis das Äquivalent zu einem Bezirk. Das war schon seit zweihundert Jahren so.
„War das klug, dass Sie sich gewaschen haben?“, fragte ich. „Wären das nicht Indizien gewesen?“
Er versteifte sich. „Indizien wofür? Glauben Sie etwa, dass ich ihn umgebracht habe?“
Nein, nicht wirklich. Charlie war von einem wilden Tier angefallen worden, und obwohl ich nach einem loup-garou suchte, glaubte ich nicht ernsthaft daran, dass er überhaupt existierte. Allein die Vorstellung, dass dieser Mann sich in einen Wolf verwandelt, Charlie getötet, sich dann zurückverwandelt haben und in seine Hose gesprungen sein könnte, bevor ich auftauchte, war einfach lächerlich. Aber irgendetwas war seltsam an diesem Ort, an den Todesfällen, sogar an ihm selbst.
Er marschierte zum Rand der Lichtung und spähte in die Finsternis. „Was haben Sie gehört, während ich beim Boot war?“
Ich zögerte. Hatte ich wirklich ein Knurren gehört? Angesichts der Natur von Charlies Verletzung, glaubte ich schon.
Ob nun schwarzer Kojote, Louisiana-Wolf, ABC oder ein bislang unentdeckter Krypti d – was auch immer hier draußen war, konnte, wenn es denn tötete, zweifellos auch knurren.
„Ein Tier“, erwiderte ich. „Hat nicht nach einem Alligator geklungen. Eher nach etwas mit Klauen und einem Fell.“
Als er mich einfach weiter anstarrte, nutzte ich die Gelegenheit, um von der Auskunft die Nummer der Polizeiwache des Landkreises St. Tammany zu erfahren und mich durchstellen zu lassem. Nachdem ich mein Problem und meinen Standort genannt hatte, versprach man mir, dass binnen weniger Minuten Hilfe eintreffen würde. In Anbetracht der Tatsache, dass hier erst vor ein paar Tagen jemand ums Leben gekommen war, wunderte es mich nicht, dass in der Nähe ein Streifenwagen patrouillierte.
Ich legte auf und steckte das Handy weg, dann betrachtete ich den prachtvollen Rücken des Mannes, dessen Namen ich erst noch in Erfahrung bringen musste.
„Wer sind Sie?“, wisperte ich.
„Das wissen Sie doch.“
Für einen Moment überfiel mich mitten im dunklen Sumpf die Vision, wie er sich mit gebleckten Zähnen und wilden Augen verwandelte, wie Fell aus seiner Haut spross und aus seinem Rückgrat ein Schwanz wuchs.
Ich verdrängte das Bild. Er war kein loup-garou , weil es nämlich gar keinen gab.
Trotzdem erstarrte ich, als er mich jetzt ansah. Aber es war nur er selbst, wer auch immer er sein mochte; seine blauen Augen fixierten mich, als wartete er darauf, dass ich etwas sagte.
„Äh m … tatsächlich?“
„Ich bin Adam Ruelle.“
Einsiedler. Soldat. Sumpfbewohner. Warum hatte ich die Verbindung nicht längst hergestellt? Vielleicht, weil ich ihn einmal danach gefragt und er nicht geantwortet hatte.
„Ihnen gehört dieses Land.“
Er neigte den Kopf, erwiderte jedoch nichts.
„Und das Herrenhaus“, fiel es mir plötzlich ein. „Da hängt ein Bild an der Wand im ersten Stock.“
Er zeigte keine Reaktion auf die Information, dass ich im Haus seiner Familie gewesen war. Aber wer war das nicht gewesen, so wie es in dem Gemäuer aussah?
Er holte tief Luft, dann ließ er sie in einem langen resignierten Stoßseufzer wieder entweichen. „Ich ähnele meinem Ururgroßvater.“
Ich öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu. Was hatte ich erwartet? Dass er zugeben würde, ein Geist zu sein? So erstaunlich seine Erklärung auch war, sie ergab weitaus mehr Sinn als jede andere.
„ Ähneln ist leicht untertrieben“, murmelte ich.
„Das stimmt allerdings.“
„Ihre Famili e … “
„Ich habe keine Familie“, schnitt er mir mit
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