Wolfsfieber
Schließlich waren
es nur noch vier Tage, bevor ein neuer Vollmondzyklus begin-
nen würde. Istvan würde dann nicht mehr so unbeschwert
sein. Mit jedem weiteren Tag, der verging, konnte ich fühlen,
wie Nervosität und Gereiztheit in ihm weiter anstiegen. Er
hatte Angst, das System könne in diesen Nächten versagen,
und es gefiel ihm so gar nicht, dass er dann nur seinen Wolfs-
körper hatte, in dem er auf mich aufpassen musste. Ich ver-
suchte ständig ihn zu beschwichtigen, jedoch ohne Erfolg.
Doch die letzten Tage, die mir noch blieben, wollte ich bei
ihm verbringen, ohne dass seine Bodyguardpflichten ihn da-
von abhielten, mir zu geben, was ich dringender brauchte als
seinen Schutz. Ich sehnte mich nach seiner menschlichen
Nähe, auch wenn er Probleme hatte, das Wort menschlich
auf sich selbst zu beziehen. So sah ich ihn nun mal. Trotz
allem, auch wenn ich ihn mittlerweile öfter in seiner Wolfs-
form gesehen hatte, blieb er für mich immer ein Mann. Es
war schließlich eindeutig ein Mann, der mich in diesem Ho-
telzimmer geliebt hatte. Davon konnte mich nichts abringen,
nicht einmal Istvan selbst.
Als ich hörte, wie hinter ihm die Tür ins Schloss fiel, fuhr
ich im Bett hoch. Ich hatte mir schon die Jeans ausgezogen
und saß mit meinen weißen Shortys und dem weißen T-Shirt
zwischen seinen Laken. Meine Haare trug ich locker zu-
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sammengebunden. Er musste erst gar nicht lange nach mir
suchen. Seine Sinne hatten mich schon von der Tür aus aus-
gemacht, vielleicht sogar schon von der Veranda aus. Dessen
war ich mir nun überdeutlich bewusst, als er im Türrahmen
lehnte und mich mit einem anzüglichen Blick begrüßte.
„Ich glaube, der Gedanke, dass du auf mich im Bett war-
test, wenn ich nach Hause komme, gefällt mir außerordent-
lich“, neckte er mich und lehnte dabei mit der Stirn am Tür-
rahmen, um sein breites Grinsen zu verdecken.
„Und mir gefällt der Gedanke, dass du mich hier findest“,
gab ich zurück und streckte meinen Arm nach ihm aus.
Er ließ die Bücher, die er unter dem linken Arm trug, auf
den Boden fallen und stürmte zu mir. Istvan ergriff sofort
meine ausgestreckte Hand und zog mich, beinahe schmerz-
haft ungestüm, zu sich. Auf den Knien umarmte ich ihn
fest und küsste seinen Nacken. Wieder einmal bemerkte
ich seinen flatternden Puls, der unter der Haut galoppier-
te, der Puls eines auf Jagd ausgerichteten Raubtieres und
des Mannes, den ich begehrte. Wir küssten uns. Seine bren-
nend heißen Lippen brannten auf meiner dünnen Lippen-
haut. Die Temperatur seines Körpers hatte bestimmt schon
die Vierzig-Grad-Marke überschritten. Ich fragte mich, ob er
den leichten, warmen Druck meiner Lippen überhaupt noch
fühlen konnte oder ob mein Kuss für ihn kühl sein musste?
Ich wollte es diesmal genau wissen.
„Istvan, sag mal, wie ist es eigentlich für dich, wenn ich
dich küsse? Ich meine, jetzt kurz vor einem Vollmond. Fühle
ich mich da für dich eigentlich kühl an?“, fragte ich und mach-
te dabei bestimmt einen zu neugierigen Eindruck auf ihn.
„Fragst du mich das im Ernst. Für mich sind deine Küsse
das Feurigste, was es gibt!“, gestand er mir und wirkte ab-
solut ehrlich und ein wenig irritiert darüber, dass ich daran
zweifelte.
„Aber wie ist das möglich? Ich habe schließlich so um die
36 Grad und ein bisschen mehr, wenn ich dir ganz nahe bin.
Doch ich müsste dir eigentlich kühl vorkommen“, merkte ich
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an und versuchte, mir einen vernünftigen Grund dafür zu
überlegen.
„Valentin hat mir mal ganz im Vertrauen etwas gestanden.
Zu dem Zeitpunkt war für ihn klar, dass ich mich wohl nie
mit einer Frau unserer Art einlassen würde, und er wollte mir
verständlich machen, wie es wäre, mit einer Menschenfrau
zusammen zu sein. Damals hielt ich den Gedanken für völlig
abwegig. Ein Irrtum, wie sich jetzt herausgestellt hat!“, merk-
te er grinsend an und legte sich zu mir. Sein Körper streckte
sich auf dem Bett aus, ehe er fortfuhr.
„Valentin meinte, dass unsere hohe Körpertemperatur eine
Notwendigkeit ist, um die Verwandlung und die Wolfsform
zu ertragen. Da wir aber ebenso menschliche wie animalische
Instinkte haben, interpretiert unser Körper in den meisten
Fällen je nachdem, ob es sich um menschliche Eindrücke
handelt oder nicht. Er vermutet, dass, wenn wir mit einer
Frau zusammen sind, unsere menschlichen Instinkte so sehr
durchbrechen, dass wir beinahe vollkommen
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