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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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Narben in ganz Europa hinterlassen
    und die Neuordnung des k. u. k. Reiches war daher eine be-
    sondere Herausforderung. Als ich zur Welt kam, war unser
    Land bereits ein neues Land. So war ich einer der Ersten,
    der als Burgenländer aufwuchs. Mit einer ungarisch-deut-
    schen Mutter und einem Vater Unbekannt. Sie sprach nie
    über ihn. Er wäre kurz vor meiner Geburt gestorben, hieß
    es. Meine Mutter Maria war eine außergewöhnliche Frau.
    Sie zog mich ganz allein groß, arbeitete von früh bis spät.
    Es war ihr immer sehr wichtig, dass ich ein gläubiger Christ
    blieb und versuchte, ein guter Mensch zu sein. Es ist fast ein
    Segen, dass sie nie erfahren hat oder gar sehen musste, was
    aus mir geworden ist.“
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    Wenn er so sprach, voller Selbstverachtung, hatte ich im-
    mer ein Gefühl, als schnitte ein Schwert in mein Herz und
    hinterließe eine klaffende, blutende Wunde.
    „Sie starb kurz vor … bevor es passiert ist. Nachdem
    meine Mutter, die meine ganze Welt war, gestorben war,
    kam ich auf den Hof meiner Tante. Das war im Herbst ’35.
    Wir hatten nicht viel. Es ging allen so. Aber im Gegensatz
    zu Städten wie Wien hatten wir, dank unserer Landwirt-
    schaft, wenigstens genug zu essen. Ich arbeitete viel auf
    dem Feld oder im Wald. Dort konnte ich allein sein, was
    ich brauchte. Ich sprach fast mit niemandem. Die Trauer
    war so stark, ich konnte nicht mal schlafen. An einem Tag,
    als ich wieder mal im Wald war, abends, diesmal muttersee-
    lenallein, fing ich gerade damit an, ein paar umgehauenen
    Bäumen die Äste abzuschlagen. Da hörte ich ein paar Mal
    ein Knurren hinter mir. Dann nichts. Das Nächste, was ich
    noch weiß, ist, dass ich am nächsten Morgen aufgewacht
    bin, kilometerweit von der Stelle entfernt, wo ich zuvor ge-
    wesen war. Ich hatte eine Bisswunde in meinem Nacken
    und fühlte mich ziemlich angeschlagen. Schon bald wuss-
    te ich, dass mit mir etwas nicht stimmte. In der folgenden
    Nacht bekam ich Fieber, Krämpfe, und ich fühlte, wie das
    Menschliche mit jeder Minute schwand. Als ich an die fri-
    sche Luft stürzte, schien das Mondlicht direkt auf mich. In
    diesem Moment verdreifachten sich die Schmerzen, sodass
    ich mich nur noch am Boden zusammenkrümmen konnte
    und das Gefühl hatte, als ob meine Haut an jeder Stelle
    aufplatzte. Ich wusste zuerst nicht, was aus mir geworden
    war. Aber als ich anfing zu laufen und die Wolfsinstinkte
    über mich kamen, begriff ich, was ich war. Ich war ein Tier.
    Ein Wolf. Bald merkte ich, dass ich auch in den Nächten
    und Tagen, in denen ich von der Verwandlung verschont
    blieb, anders geworden war. Ich konnte viel intensiver rie-
    chen als zuvor. Mein Hörvermögen war wesentlich besser
    und ich sah über große Distanzen klar, bei Tag und Nacht.
    Auch konnte ich rennen, ohne je müde zu werden oder da-
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    bei schwitzen zu müssen. Ich erzählte niemandem davon,
    nachdem es passiert war.
    Es war 1935. Die Menschen würden niemals verstehen,
    was ich war, dessen war ich mir sicher. Ich spürte die Ver-
    änderungen des menschlichen Klimas wie einen Wetterum-
    schwung. Jeder, der anders war, wurde gemieden. Und ich,
    ein seltsamer Fünfzehnjähriger, der immer mit sich allein
    blieb, keine eigene Familie hatte, mit einem Zigeuner als
    besten Freund, war bestimmt verdächtig. Mein Freund kam
    aus St. Hodas-Berg und ich kannte ihn schon, seit ich den-
    ken konnte. Doch jetzt wurde er in der Schule beschimpft
    und man wollte, dass ich nicht mehr mit ihm sprach. Ich
    ahnte, dass ich nicht länger dort bleiben konnte.
    Damals wusste ich noch nichts über unseren verzöger-
    ten Alterungsprozess. Ich hatte aber schon bemerkt, dass
    ich mich nicht so schnell veränderte wie die anderen. Mit
    siebzehn hatte ich noch immer die Züge und den Körper-
    bau eines Jünglings, abgesehen von dem Dreitagebart, den
    ich schon seit meiner Verwandlung behielt. Ich spürte die
    Blicke der anderen. Es war Zeit zu gehen. Ich packte mei-
    ne wenigen Sachen und verabschiedete mich von meinem
    Freund Roman. Ohne ein Ziel. Als ich im Zigeunerlager an-
    kam, bemerkte Romans Großvater meine ‚Besonderheit‘. Er
    sagte mir, er komme aus einem Dorf in den Karpaten, wo es
    noch mehr wie mich gäbe. Er hätte sie einmal mit seinem
    Vater nachts im Wald bei einer Verwandlung gesichtet. Ich
    hatte bis dahin gar nicht daran gedacht, dass es noch andere
    Wesen wie mich geben könne. Ich beschloss, nach Rumä-
    nien zu gehen, um herauszufinden, was mit mir geschehen
    war und

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