Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
Vom Netzwerk:
hatte nun Möglichkeiten, die
    in meinem alten Leben unerreichbar gewesen wären. Ich
    97

    konnte in den USA studieren. Ich hatte immer schon viel
    gelesen. Das kam mir jetzt gelegen, denn so lernte ich recht
    schnell Englisch. Ich las einfach jedes Buch, das ich be-
    reits auf Deutsch kannte erneut. So lernte ich die Sprache.
    Ich arbeitete die ganze Nacht lang, um genug Geld zu ha-
    ben, und ging tagsüber auf die Universität. Ich studierte
    in einem kleinen College in Connecticut, wo es genügend
    Wald gab. Eigentlich wollte ich unbedingt Medizin studie-
    ren. Ich musste aber schon bald die Ausbildung abbrechen,
    da mir ständig Diagnosen herausrutschten, die ich gar nicht
    kennen durfte. Schließlich brauchte ich kein Stethoskop,
    um ein Herzproblem zu hören, und ich konnte einen Bruch
    mühe los mit einem kurzen Griff richten. Es war frustrie-
    rend, so tun zu müssen, als könne ich nicht helfen, nur um
    mein verfluchtes Geheimnis zu wahren. Es gab auch noch
    andere Probleme wie bestimmte Nachtdienste, die ich nicht
    machen konnte, oder dass ich nicht Blut spenden konnte
    und dafür keine plausible Erklärung hatte. Damals wusste
    ich zwar noch nicht, dass das Wolfsgift in unserem Blut ist,
    aber ich vermutete es bereits.
    Da ich seit jeher Ungarisch beherrschte, studierte ich
    schließlich Sprachwissenschaften und arbeitete bald als
    Übersetzer, die wegen des Krieges überall gebraucht wurden
    und sehr gefragt waren. Auch bewahrte mich der kriegswich-
    tige Übersetzerdienst vor der Pflicht, als Soldat zu kämpfen,
    die ich schon wegen der Musterungsuntersuchung nicht ris-
    kieren konnte. Ich war froh, die Kriegsjahre damit zu verbrin-
    gen, wichtige Papiere zu übersetzen oder zu verfassen und
    niemanden verletzen zu müssen. Davor hatte ich am meisten
    Angst, dazu gezwungen zu sein, andere zu verletzen oder zu
    töten.“
    Die Art, wie er über seine Ängste sprach, war aufrichtig.
    Ich konnte mir kaum vorstellen, wie es sein musste, in so
    einer Zeit leben zu müssen und mit solchen Problemen kon-
    frontiert zu werden.
    98

    An einem anderen Tag erzählte er mir von den schönen Er-
    fahrungen, die er während seiner ersten Studienzeit in Ame-
    rika gemacht hatte. Über das erste Mal, als ihn ein Kommili-
    tone nach New York mitnahm und er eine Oper sah. Wie sie
    ihn sofort begeistert hatte und die Liebe zur Oper bis heute
    anhielt. Über die außergewöhnlichen Filme, die er damals
    im Kino sah. Manche gleich mehrmals hintereinander.
    An einem Donnerstag erzählte er mir von den Problemen,
    die sein spezielles Leben mit sich brachte:
    „Es gefiel mir in Connecticut. Ich wollte länger dort blei-
    ben. Aber als der Krieg endlich zu Ende ging, war ich bereits
    seit acht Jahren dort und langsam bemerkten meine Kolle-
    gen, dass sie nichts über mich wussten. Jeder schien mich
    zu kennen, aber niemand wusste etwas über mich. Ich hatte
    eigentlich keine Freunde, lediglich Bekannte, die ich alle-
    samt über meine Herkunft belog. Doch jetzt, nach Ende des
    Krieges, machten sich Menschen wie ich, ohne nachweisba-
    re Vergangenheit, schnell verdächtig. Ich galt als Ungar, das
    hatte ich bei meiner Einreise angegeben. Man wusste, ich
    sprach etwas Rumänisch und dass ich es nicht von meiner
    Uni her konnte. Sie prüften das nach. Der Chef des Über-
    setzerbüros war ein netter Mann und deutete mir gegenüber
    eines Tages an, dass ich im Verdacht stünde, ein russischer
    Spion zu sein. Man hatte bei meiner Überprüfung Unge-
    reimtheiten festgestellt.
    Es war Zeit zu verschwinden. Ich vernichtete alles, was
    ich nicht mitnehmen konnte, und behielt nur das Nötigste.
    Wieder einmal war ich allein und hatte noch keine der Ant-
    worten gefunden, nach denen ich so verzweifelt suchte. Ich
    konnte auch nicht wieder richtig nach Hause. Nicht, solange
    ich aussah, als wäre ich kaum gealtert, und solange sich noch
    jemand an mich erinnern konnte.
    Ich stromerte als Wanderarbeiter durch das ganze Land
    und suchte ein Indianerreservat nach dem anderen auf. Erst
    nach Monaten stieß ich auf einen Stamm, der noch „Skin-
    99

    walker“ kannte. Ein junger Krieger, den sie Little Wolf nann-
    ten, sollte ein direkter Nachfahre eines Skinwalkers sein.
    Ich fand ihn in der Nähe des Yellowstone-Nationalparks. Ich
    folgte ihm und wartete auf die erste Vollmondnacht. Danach
    zeigte ich mich ihm. Es stellte sich heraus, dass er genau
    wie ich ein einsam Wandelnder unserer Art war. Er gab mir
    auch die Antworten, die Damir

Weitere Kostenlose Bücher