Wolfskrieger: Roman (German Edition)
nach oben, um sich vor dem Unwetter zu schützen. Sie warteten ein paar Tage, bis die starken Winde abflauten, dann stachen sie wieder in See. Falls Gabelbart ihnen wirklich ein Langschiff hinterhergeschickt hatte, so brannte auch dessen Besatzung sicherlich nicht darauf, bei schlechtem Wetter zu fahren. Langschiffe konnten zwar über das offene Meer segeln, doch wenn sie die Wahl hatten, blieben auch sie dicht an der Küste und flohen an den Strand, sobald ein Sturm aufkam, um nicht mit Wasser vollzulaufen.
Zwischen den Inseln kam das Boot nur langsam voran, andererseits boten ihnen die Buchten und Landzungen Verstecke und Deckung. Da Bragi schon einmal hier gewesen war, fanden sie sich leicht zurecht, auch wenn sie mitunter einen Umweg machten. Einmal oder zweimal mussten sie nach Westen fahren, obwohl sie eigentlich nach Süden wollten, doch das war ein kleiner Preis, wenn es ihnen dadurch gelang, die offene See zu meiden. Meist ruderten sie, manchmal halfen ihnen auch der Wind und die Strömung. Von ihrem letzten Halt auf einem Strand aus konnten sie eine ausgedehnte Landzunge erkennen, auf der mehrere Lagerfeuer brannten.
»Ist das der Ort?«, fragte Vali. »Der ist ja nicht größer als Eikund.«
Bragi lachte. »Das ist nur ein Bjorkey an der Mündung, und dort stoßen wir auch auf die erste Schwierigkeit.«
Vali hatte den Ausdruck noch nie gehört und musste nachfragen.
»Das ist ein Umschlagplatz«, erklärte Bragi. »Wenn zwei große Schiffe Waren austauschen wollen, dann ist es sinnlos, in den Hafen einzulaufen. Sie erledigen es gleich in der Mündung. Wenn ein Schiff nur auf der Durchfahrt ist, kann es dort löschen oder aufnehmen, was es will, ohne im Hafen anlegen zu müssen.«
Vali konnte kaum glauben, dass manche es so eilig hatten. Warum nahmen sie sich nicht die Zeit, den Hafen zu besuchen? Was konnte so dringend sein, dass man auf einem Handelsweg dahinraste, als sei man auf der Flucht?
»Profit«, antwortete Bragi, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Die Schafe, die zuerst am Trog sind, können am meisten trinken. Du läufst nicht mit einer Ladung Schleifsteine in einen Hafen ein, wenn einen Tag vorher ein anderes Schiff die gleiche Ware geliefert hat. Die Händler wollen, dass wir sie um ihre Waren förmlich anbetteln.«
In einer anderen Situation hätte Vali diese Erklärung aufregend gefunden – ein Blick in eine Welt, über die er nichts wusste. In diesem Moment verstärkte dies nur die Unsicherheit, die er sowieso schon hatte, denn sie begaben sich unvorbereitet in eine unbekannte Situation. Er fühlte sich verletzlich, was aber nicht mit der unmittelbaren Bedrohung durch die Dänen zusammenhing. Schon seit seinem Erlebnis im Sumpf fühlte er sich so, irgendwie losgelöst von sich selbst und nicht ganz in der Welt. Wie auch immer, er wollte wissen, ob Bragi ihm noch etwas Nützliches berichten konnte. Bisher hatte der alte Mann vor allem über Schlachten gesprochen, und Vali hatte den Fehler begangen, anzunehmen, er habe sonst nicht viel zu sagen.
»Soll ich dir jetzt sagen, welche Fehler dein Plan hat?«, fragte Bragi, als sie zum Boot zurückkehrten und sich auf die Überfahrt vorbereiteten.
»Ja, mach nur.«
»Nun ja – wir haben die Kleider eines Rygir-Edelmannes gestohlen. Die Dänen haben die Rygir gerade angegriffen, also befinden sie sich mit ihnen im Kriegszustand. Haithabu liegt in Dänemark, und dort gibt es, soweit ich weiß, jede Menge Dänen. Ich bin ja kein so tiefgründiger Denker wie du, aber ich denke doch, wenn wir dort so auftauchen wollen, wie wir jetzt aussehen, könnten wir allen eine Menge Mühe ersparen und uns die Fesseln gleich selbst anlegen. Verstehst du, was ich meine?«
»Was ich vorhabe, ist nicht leicht«, räumte Vali ein, »aber ich glaube nicht, dass wir unbedingt große Schwierigkeiten bekommen. Es gibt doch mehrere unabhängige Königreiche. Solange sich Haarik hier nicht blickenlässt, wird uns nichts passieren.«
»Und wenn er kommt?«
Vali zuckte mit den Achseln. Der Wolfsmann sagte gar nichts, sondern starrte nur hasserfüllt das Meer an.
»Also gut, was geschieht, wenn wir wider Erwarten nicht auf der Stelle niedergemacht werden?«, fragte Bragi. »Sie wissen, dass sie uns festhalten und Lösegeld erpressen oder uns als Sklaven verkaufen können – beides würde ihnen ein schönes Sümmchen einbringen. Vielleicht glauben sie sogar, sie könnten den Berserker zurückbekommen.«
»Der Berserker ist ein Söldner und kein Däne, um
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