Wolfskrieger: Roman (German Edition)
wollte sich umdrehen und weglaufen, doch die Wände hatten ihn eingeschlossen. Er war in einer kleinen Insel aus trübem Licht gefangen, und die Qualen des Wolfs waren seine eigenen. Er spürte dessen Sehnsucht nach Freiheit wie einen erstickenden Lufthauch im Gesicht, er spürte den Hass auf die Fesseln, die strammsaßen wie Aderpressen, und den stechenden Schmerz im Maul. Es war, als ertränke er, aber nicht im Wasser, sondern im Leiden des Wolfs. Als verzehrte ihn das Wesen, aber nicht mit den Zähnen, sondern mit seinem Geist.
Er musste hier raus, er musste atmen und leben. Der Puls pochte in seinen Ohren – oder war es die Trommel? Er blickte nach oben. Der Trommler stand direkt vor ihm, und der Knochen, mit dem er auf das Trommelfell schlug, hatte jetzt die Form der gezackten Rune angenommen.
»Hilf mir«, sagte Vali.
Der Trommler hörte auf. Dann warf er die Rune zu Vali herüber.
»Wachse«, sagte er. Und Vali drehte durch.
Hogni wurde mitten im Sumpf durch einen plötzlichen Tritt von Vali umgeworfen.
»Er hat die Fesseln zerrissen!«, rief Orri, um Jodis ins Bild zu setzen.
»Dann nehmt das Seil und tötet ihn!«
Hogni zog die Schlinge zu, doch es war zu spät. Vali hatte sie schon mit beiden Händen gepackt und zerrte fest daran. Hogni hatte sich das Seil um den Leib geschlungen und sah sich nun durch das Wasser zum Prinzen gezogen. Vergeblich versuchte er, sich zu befreien. Er war zu langsam. Vali stürzte sich heulend und spuckend auf ihn, biss ihn und schlug ihn. Bragi, der am Ufer gewartet hatte, sprang in den Sumpf, um sich in den Kampf einzuschalten.
Orri zog das Messer und wollte von hinten auf Vali losgehen, zögerte aber einen entscheidenden Augenblick zu lange. Immerhin war Vali der Erbe seines Herrn. Der Prinz schien die Bedrohung zu spüren, drehte sich um und brach Orri mit einem Hieb das Genick.
Jodis schrie auf, als Vali abermals Hogni angriff, doch dieses Mal war Bragi in seinem Rücken. Hogni erwischte Valis Beine, und zusammen konnten die Krieger den um sich schlagenden jungen Mann aus dem Sumpf zerren. Dann kamen ihnen andere zu Hilfe, sprangen Vali an, hielten ihn fest und drückten ihn nieder, dass er fast erstickte. Es waren Gabelbarts Männer, und hinter ihnen stand Gabelbart selbst in vollem Putz mit Brünne, Helm, Schild und Schwert und starrte finster.
Vali halluzinierte. Er betrachtete die bewaffneten Rygir, konnte sie aber nicht auseinanderhalten, sondern sah sie als bloße Symbole für Schmerz und Mord. Es war, als könnte er ihr Misstrauen ihm gegenüber schmecken, ihre Eifersucht und ihre Ängste, als bekleideten ihre Gefühle sie wie Mäntel. Er nahm den Geschmack ihrer unterschiedlichen Gefühle auf – großer Hass, kleine Feindseligkeiten, alles konnte er erkennen und benennen, so real und vielfältig wie die Gerüche der bratenden Speisen an einem Festtag.
Wieder wehrte er sich, und die Schlinge legte sich eng um seinen Hals. Allmählich kam er zu sich und begriff, wer er war. Dann verschwand alles um ihn, und eine neue Art von Schwärze umfing ihn, eine andere Art von Kälte kroch ihm über den Rücken. Er blinzelte, erbrach Wasser und schlug die Augen auf. Hogni blickte auf ihn herab.
Wieder verlor er einen Moment das Bewusstsein.
»Stellt ihn auf die Beine. Stellt den dreckigen Brudermörder auf.«
Sie zogen ihn hoch. Valis Knochen waren unendlich schwer und wie aus Stein gehauen. Dann starrte er in ein vertrautes, wütendes Gesicht.
»Dafür wirst du büßen«, sagte Gabelbart. »Ich hätte doch gleich wissen sollen, dass man den Horda nicht trauen darf. Kein Wunder, dass sie dich geschickt haben, ihren nutzlosen Sohn. Nun, wir werden dein Blut sehen. Der Prinz will den Tod, und wir werden ihm geben, was er verlangt, nicht wahr? Nehmt den anderen Spionen die Waffen ab.«
Fünf Speere zielten auf Bragi, während die Männer Vali die Arme auf den Rücken bogen.
»Bringt ihn in die Halle. Die Versammlung soll so bald wie möglich beginnen. Ohne ihr Wort kann er nicht sterben. Lasst es alle wissen: Dies wird nicht bloß eine Hinrichtung, dies ist der Krieg.«
Sie beförderten den keuchenden und würgenden Vali mit Tritten zur Halle. Sein Kopf war voll von dem, was er unter Wasser erlebt hatte: der Wolf, die Höhle, vor allem die Erinnerung an Adisla, an sich selbst und den Wolfsmann, alles verdreht und verzerrt unter dem Einfluss der grässlichen Rune. Ihre Lebenslinien waren miteinander verflochten, so viel wusste er, und dieses Wissen tröstete und
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