Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Ich kann gar nicht mehr raus. Was soll ich jetzt denn tun?»
«Bleiben Sie im Haus, Signora, und machen Sie nicht auf.»
«Aber ich muss nach Hause. Mein Mann wartet auf sein Abendessen.»
«Soll er doch selber kochen», erwidert Guerrini.
«Was haben Sie gesagt, Commissario?»
«Ich habe gesagt, dass er selber kochen soll!»
«Das sagen Sie mal meinem Mann. Wenn der kocht, dann geht die Welt unter.»
«Signora, es gibt die Erfindung der Pizza, es gibt Salami, Käse und Brot. Niemand in diesem Land ist bisher verhungert, wenn seine Frau nicht gekocht hat.»
«Aber ich will nach Hause. Es ist unheimlich hier mit all den Leuten, die mich belagern!»
«Dann gehen Sie raus, ganz ruhig zu Ihrem Wagen, beantworten Sie keine Fragen und fahren Sie weg. Aber schließen Sie das Haus gut ab. Diese Reporter sind zu allem fähig. Übrigens, haben Sie eine Ahnung, wo Enzo Leone sein könnte?»
« Non lo so! Aber wahrscheinlich ist er in Florenz. Da fährt er immer hin.»
«Also, was machen Sie jetzt, Signora?»
«Ich geh raus. Die Madonna steh mir bei!»
«Sie steht Ihnen bestimmt bei, Signora. Alles Gute.»
Leise vor sich hin lachend, ging Guerrini ins Zimmer der Wachtmeister hinüber.
«Tommasini ist schon weg, Commissario», sagte d’Annunzio. «Wegen dem Palio.»
«Palio, Palio», murrte Guerrini. «Kannst du mir jetzt und auf der Stelle erklären, welche Bedeutung der Palio hat?»
«Nein, Commissario.» D’Annunzio wurde rot.
«Siehst du, ich müsste es auch nochmal nachlesen, weil es so kompliziert ist, dass man sich das unmöglich genau merken kann. Und die armen Pferde begreifen auch nicht, warum sie sich den Hals brechen müssen.»
«Nein, Commissario.»
«Hast du Nachtdienst?»
«Ja, Commissario.»
«Ich wäre dir dankbar, wenn du mich heute Nacht nicht stören würdest, d’Annunzio. Irgendwann muss auch ich mal schlafen. Ruf also bitte nur an, wenn die Welt untergeht. Alles andere können die Kollegen regeln.» Er nickte dem jungen Polizisten zu und zog sich so schnell zurück, dass er dessen «Ja, Commissario» nicht mehr hören musste.
Ehe er die Questura verließ, rief Guerrini einen Kollegen und Freund in Florenz an, bat ihn, bei den Bekannten von Enzo Leone vorbeizuschauen, nach dem jungen Mann zu fragen und ihm ausrichten zu lassen, dass er sich am Freitag wieder in der Questura von Siena melden solle. Mehr nicht. Es würde reichen, ihn weiterhin nervös zu machen. Guerrini freute sich geradezu auf die Begegnung zwischen Laura und Enzo Leone. Er schätzte ihre Art zu fragen und die winzigen Unaufrichtigkeiten in anderen zu durchschauen.
Nach dem Telefongespräch war es sechs, und die Müdigkeit breitete sich schmerzhaft in seinem Körper aus. Trotzdem fuhr er zum Krankenhaus. Die Neonlichter in den Gängen verstärkten sein Kopfweh, die Gerüche bereiteten ihm Übelkeit.
«Geht es Ihnen nicht gut, Commissario?», fragte der Stationsarzt in der Notfallchirurgie mehr interessiert als besorgt. Er beugte sich zu Guerrini und betrachtete ihn aufmerksam über den Rand seiner Brille hinweg.
«Danke, es ging mir schon besser. Schlafmangel, Dottore.»
«Ach so», nickte der Arzt. «In meinem Beruf leidet man eigentlich ständig darunter.»
«In meinem auch.» Guerrini wollte sich mit dem Chirurgen nicht über Schlafmangel unterhalten, sondern wissen, wie es Elsa Michelangeli ging.
«Wie geht es ihr?», fragte er deshalb fast unfreundlich.
«Nun, wir haben operiert und halten sie jetzt im künstlichen Koma. Sie hat eine Chance, aber die ist hauchdünn, Commissario. Ihre inneren Verletzungen waren erheblich, dazu kommt ein Bruch der Hüfte und des rechten Beins. Zum Glück hat sie wenigstens keine Kopfverletzungen erlitten. Wollen Sie Signora Michelangeli sehen?»
«Nein.» Guerrini fühlte sich nicht in der Lage, die Intensivstation zu ertragen. «Ich wollte mich nur überzeugen, dass die Signora bewacht wird.»
« Sì sì , seit der Operation, die fast fünf Stunden gedauert hat, sitzt einer Ihrer Wachtmeister vor dem Zimmer der Patientin. Halten Sie das wirklich für notwendig, Commissario?»
«Absolut notwendig!», erwiderte Guerrini und hatte das Gefühl, als müsse er den Kopf schütteln, um wach zu bleiben.
«Es war also kein normaler Autounfall?»
«Nein, Dottore.»
«Können Sie mir das genauer erklären?»
«Nicht heute Abend.»
«Geheim?» Der Arzt nahm die Brille ab und zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. Er war untersetzt, um die vierzig und trug das Haar etwas
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