Wolfstraeume Roman
unterbrochen.
»Verdammt. Ich muss mich um ihn kümmern. Was ich brauche, ist allerdings ein reinrassiger Wolf.« Dr. Knox ließ sich mühsam vor dem Käfig auf die Knie nieder, um ihn zu öffnen. Ehe ich etwas tun konnte, stürzte der Hund zähnefletschend heraus und wollte den Veterinär am Hals packen. Ich versuchte die Hinterläufe des Tieres zu erwischen, um ihn zum Stürzen zu bringen, doch ich war nicht schnell genug. Blut floss bereits. Malachy Knox hielt sich schützend die Hände vors Gesicht, um den wild gewordenen Hund davon abzuhalten, ihn erneut zu beißen.
»Telazol!«, brüllte er. »Im Kühlschrank!«« Ich riss die kleine Kühlschranktür auf, holte eine fertige Spritze heraus und rammte sie dem Dalmatiner in die Flanke. Er drehte den Kopf nach rechts zu mir und ließ so von Knox ab. Knurrend fletschte er die Zähne, bereit, sich auf ein neues Opfer zu stürzen.
»Gütiger Himmel«, murmelte ich entsetzt. Es war eindeutig: Das Sedativum wirkte nicht.
Dann stürzte sich der Hund auf mich. Seine Vorderpfoten drückten sich fest in meine Schultern. Ich schloss verängstigt die Augen. Plötzlich hörte ich ein lautes Knacken. Entsetzt stieß ich einen Schrei aus, während das Tier mit seinem vollen Gewicht auf mich fiel und mich zu Boden riss. Als ich die Augen wieder öffnete, stand Knox über mich gebeugt. Eine verwirrende Sekunde lang sah er nicht mehr wie er selbst aus. Seine Augen glühten seltsam blaugrün, er wirkte größer, wilder und stärker als zuvor. Seine
Arme schienen auf einmal grotesk dürr zu sein, als er sie ausstreckte, um dem Dalmatiner das Genick zu brechen.
Das ist unmöglich, dachte ich verwirrt, ehe ich in Ohnmacht sank.
»Mein Gott«, sagte jemand.
»Wurde sie verletzt?«
Ich stellte mir insgeheim dieselbe Frage, während ich langsam zu mir kam, die Augen aufmachte und feststellte, dass Lilliana, Ofer und Sam um mich herumstanden. Es fühlte sich ziemlich beunruhigend an, das Opfer eines Medizinerdramas geworden zu sein. Wenn man sich Krankenhausserien im Fernsehen ansah, identifizierte man sich meist mit den Ärzten und Krankenschwestern, also mit denjenigen, die aufrecht da standen, ihre Kleidung meist anließen und vor allem keine Verletzungen aufwiesen.
»Okay – wenn mir jetzt jemand helfen könnte, den Kerl beiseite zu schaffen und eine IV zu machen.« Ofer übernahm die Führung.
Lilliana kniete sich neben mir hin und strich mir über die Haare. »Abra, wie geht es dir?«
Ich versuchte mit den Achseln zu zucken, während Ofer gemeinsam mit einem anderen Assistenzarzt den toten Hund von meiner Brust hob.
Auch Malachy Knox kniete sich neben mich. »Es tut mir leid«, murmelte er mit einer derart leisen Stimme, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. »Hat er Sie gebissen? Hat er Sie irgendwo verletzt?«
Ich blickte zu ihm auf, denn ich erinnerte mich an den eigentümlichen Anblick, den er geboten hatte, ehe ich das Bewusstsein verlor. Wahrscheinlich war es nur eine Folge
des Schocks, dachte ich. Oder führte Malachy Knox vielleicht an sich selbst Versuche durch?
»Ihr Mantel ist zerrissen«, brachte ich mühsam heraus, als ich bemerkte, dass sein Laborkittel zerfetzt war. Er sah fast so aus, als ob er ihn in einem Wirbelsturm getragen hätte.
»Das ist jetzt völlig unwichtig, Ms. Barrow. Zeigen Sie mir lieber, wo er Sie verletzt hat«, erwiderte Knox. Erst jetzt merkte ich, dass ich seine Frage gar nicht beantwortet hatte.
Ich blickte ihm fest in die Augen. »Er hat mich nicht gebissen.«
Dr. Knox wirkte derart erleichtert, dass er für einen Augenblick fast wieder jugendlich aussah. Damals musste er ein weicheres, gefühlvolleres Gesicht gehabt haben. Hatte er wohl jemals Liebe erfahren? Oder war die Wissenschaft stets die einzige Leidenschaft gewesen, die ihn bewegte? Vielleicht war dieses geheime Labor im Keller der Ort, an dem am deutlichsten sein wahres Selbst zum Vorschein kam. Dann wurde mir bewusst, dass er das restliche Team gerufen hatte, um mir zu helfen. Und das bedeutete natürlich, dass dieser Ort nicht mehr geheim war.
Den restlichen Tag über kamen immer wieder Leute zu mir und rissen irgendwelche schlechten Dalmatiner-Witze. Möchtest du einen Pelzmantel, Abra? Sag es nur, ich kann dir einen besorgen...
Ich versuchte nicht an die umgedrehte Wolfskarte zu denken, die meine Mutter für mich gelegt hatte. Zählte auch der Angriff eines Dalmatiners als Gefahr? War das der Streich, den mir das Universum angeblich in Gestalt eines
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