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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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den Tag, an dem sie Wikas
     Freundin Alla verboten hatte, ihn je wieder zu besuchen – und dabei hatte er sich immer so auf Alla gefreut. »Heute war der
     Gerichtstermin«, sagte Adela, »und sie sind nicht erschienen.«
    Wanja wurde schwindelig. Redete sie etwa von Mama Linda |243| und Papa Jora? Offenbar tat sie das. Als Nächstes sagte sie: »Die Engländer kommen nicht.«
    »Vielleicht kommen sie morgen«, sagte Wanja so leise, dass man ihn kaum mehr hören konnte.
    »Nein, Wanja. Der Gerichtstermin war heute. Du musst begreifen, dass sie nicht kommen. Du bist zu alt, um noch länger hierzubleiben.
     Du musst in ein Internat. Du wirst nie eine Mama haben.«
    Als Adela gegangen war, streckte Julia eine Hand aus und legte sie auf Wanjas. »Nicht weinen, Wanja«, flüsterte sie mit sanfter
     Stimme. Doch sie war es selbst, der Tränen über die Wangen liefen. Wanjas Augen blieben trocken. »Sie irrt sich. Das weiß
     ich«, sagte er. »Mama Linda kommt vielleicht nicht, aber eine andere Mama wird kommen.«

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    |244| 20.
EINER VON UNS
    Juli 1998
    An dem Tag, an dem die Anhörung vertagt wurde, war es Sarahs Aufgabe, zu Wanja zu gehen und ihm zu erklären, warum die Fletchers
     nie kommen und ihn zu sich holen würden. Auf dem Weg ins Babyhaus dachte sie darüber nach, wie viele Menschen Wanja in seinem
     jungen Leben bereits enttäuscht hatten: seine leibliche Mutter, die keine Kraft mehr gehabt hatte, sich gegen die endlos negativen
     Prognosen der sowjetischen Ärzte zur Wehr zu setzen; Adelas Stellvertreterin, die ihn für adoptionsuntauglich erklärt hatte;
     Adela selbst, die zu schwach gewesen war, sich gegen diese Auffassung zu behaupten und Wanjas Überweisung nach Filimonki zu
     verhindern; der dortige Anstaltsleiter, der sich geweigert hatte, ihm eine Chance zu geben; und schließlich Linda, die ihn
     an jenem Tag im Mai im Babyhaus vergeblich hatte warten lassen.
    Sarah hatte das Gefühl, dass auch sie selbst und Alan Wanja enttäuscht hatten. Sie hatten sich seiner angenommen und die Fletchers
     in sein Leben gebracht, ihnen im Adoptionsverfahren geholfen, so weit zu kommen, wie sie es aus eigener Kraft nie geschafft
     hätten, und dabei hatten sie nicht erkannt, wie wenig sich Linda und George als Adoptiveltern eigneten. Sie hatten Wanja gedankenlos
     in die Welt einer Familie eingeführt, und er war begeistert davon gewesen. Und nun würde er womöglich sein gesamtes Leben
     in staatlichen Einrichtungen fristen müssen.
    Am Abend zuvor hatte Sarah lange mit Mary, jener amerikanischen Psychologin, gesprochen, um sich mit ihrer Hilfe auf das Gespräch
     mit Wanja vorzubereiten. Mary hatte ihr geraten, |245| Wanja nicht den Eindruck zu vermitteln, die Fletchers hätten ihn zurückgewiesen. Es sei besser zu lügen, als einem Kind das
     Gefühl zu geben, es sei zurückgewiesen worden.
    Als Sarah am Babyhaus ankam, fand sie Wanja zu ihrer Überraschung vor dem Haus auf einer Bank sitzend vor. Jemand musste Mitleid
     mit ihm gehabt und ihn nach draußen gebracht haben. Er sah vollkommen verloren aus. Sie setzte sich neben ihn. Wie immer sagte
     er das Wichtigste zuerst.
    »Heute ist der Gerichtstermin, Sarah. Und sie sind nicht gekommen.«
    »Ich weiß, Wanja. Es tut mir so leid.« Er sah sie an, wartete auf eine Erklärung.
    »Schau, Lindas Enkelin hat sich ein Bein gebrochen …«
    »Wo ist ihre Enkelin?«
    »In England in einem Krankenhaus. Deshalb ist Linda nicht gekommen.«
    »Aber Linda hat sich kein Bein gebrochen, oder?«, schoss es aus ihm heraus.
    »Weißt du, Wanja, sie wusste nicht wohin mit ihrem Hund, und Philip kann sie auch nicht …« Sie brach mitten im Satz ab. Es
     war offensichtlich, dass Wanja diese Ausreden durchschaute. »Wanja, ich bin sehr böse auf sie. Sie hat dich sehr schlecht
     behandelt.«
    »So etwas darfst du nicht sagen, Sarah. Linda ist nicht böse. Sie ist lieb.« Sarah konnte nicht glauben, dass er am enttäuschendsten
     Tag seines Lebens derart nachsichtig war, besonders da er wissen musste, dass ihm nun die Überweisung in eine Anstalt drohte.
    Am nächsten Tag ging Sarah noch einmal ins Babyhaus, um mit Adela zu sprechen. Nach dem Rückzieher der Fletchers lag ihre
     vierjährige Beziehung nun vermutlich in Trümmern.
    »Zur moralischen Unterstützung nahm ich Alan und eine Prager Torte mit ins Babyhaus. Ich musste Adela davon abhalten, Wanja
     in eine Anstalt zu schicken, bevor Maria die nötigen Papiere zusammenhatte, um ihn in ihr Projekt aufnehmen zu

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