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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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Entschluss, wählte Paula die Nummer in New York und trug der Frau am anderen Ende der Leitung
     ihr Anliegen vor. Doch ihr Enthusiasmus wurde nicht erwidert. Stattdessen erklärte ihr die Frau, dass die Kirche sie höchstwahrscheinlich
     als Adoptivmutter ablehnen würde, da sie nicht verheiratet war. Erst vor kurzem war der Versuch einer alleinstehenden Frau,
     ein Kind zu adoptieren, in einem Fiasko geendet. Dieser Vorfall würde bei der Entscheidung über ihren Antrag als Grundlage
     dienen.
    »Warum sollen alle Kinder unter
einer
missglückten Adoption leiden?«, dachte Paula verzweifelt, nachdem sie aufgelegt hatte.

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    |269| 22.
MÖGLICHERWEISE SEHR GUTE NACHRICHTEN
    November 1998 bis Februar 1999
    Als sich das Jahr dem Ende zuneigte, zeichnete sich auch der Abschluss der sinnlosen Tests im Waisenkrankenhaus ab, und endlich
     stand Wanjas Einzug in seine Pflegefamilie nichts mehr im Weg. Seine neue Mutter hieß Sonja, war geschieden und hatte ihren
     Lebensunterhalt jahrelang mit dem mageren Gehalt einer Defektologin in einem Internat für Kinder bestritten. Ihre dortigen
     Schützlinge galten allesamt als ›schwachsinnig‹, waren körperlich jedoch nicht behindert. In Marias Augen war Sonja die Richtige,
     um Wanja in einem familiären Umfeld zu betreuen, ihn an ein Leben außerhalb staatlicher Einrichtungen zu gewöhnen und ihm
     neue Kraft zu geben.
    Zu seiner neuen Familie gehörten außerdem Sonjas Tochter sowie ihre Mutter, die extra zu ihnen zog, damit Wanja tagsüber nicht
     allein war. Der einzige Wermutstropfen war: Sonja lebte im fünften Stock eines Mehrfamilienhauses ohne Fahrstuhl. Doch sie
     war eine einfallsreiche Frau, die in Zeiten groß geworden war, in denen alles knapp gewesen war und die Menschen das Beste
     aus dem wenigen machen mussten, was sie hatten. Und so wurde die Bezwingung der acht Treppen kurzerhand zu einer physiotherapeutischen
     Übung für Wanja erklärt.
    Schon bald nach Wanjas Umzug kam Wika zu Besuch, Sonja goss ihr eine Tasse Tee ein und machte Wanja sogleich für einen Spaziergang
     fertig. Dann stellte sie ihn auf den obersten Treppenabsatz, vergewisserte sich, dass er sich gut am Geländer festhielt, ließ
     die Wohnungstür offen und setzte |270| sich wieder zu Wika an den Tisch, während Wanja sich langsam nach unten vorarbeitete. Während sie gemütlich ihren Kuchen aßen,
     konnten die beiden Frauen Wanja laut und fröhlich die Nachbarn grüßen hören, die er im Treppenhaus traf, sowie deren herzliche
     Erwiderungen. Als Sonja und Wika ihren Tee ausgetrunken hatten, hatte Wanja das Erdgeschoss erreicht, und die beiden Frauen
     machten sich nun ebenfalls auf den Weg nach unten.
    Sonja war vollkommen anders als Wikas Freundinnen aus der Kirche. Sie war eine energische Frau aus der Provinz, die sich ihr
     selbständiges Leben in Moskau erkämpft, erknausert und erspart hatte. Sie rauchte, färbte sich die Haare und sprach mit schonungsloser
     Offenheit. Auch aus ihrer Geringschätzung für die »Betbrüder«, wie sie es nannte, machte sie keinen Hehl.
    »Ich war entsetzt, als Sonja Wanja das erste Mal vor meinen Augen zurechtwies, ihm sagte, dass er gerade sitzen und den Tee
     nicht schlürfen solle«, erinnert sich Wika. »Doch ich verstand schon bald, warum sie das tat. Sie wollte ihm seine Heim-Manieren
     abgewöhnen und ihm beibringen, sich wie ein Kind zu benehmen, das in einer richtigen Familie aufgewachsen war.«
    Trotz ihrer ablehnenden Haltung der Kirche gegenüber hatte Sonja nichts dagegen, dass Wika Wanja eines Sonntags mit in den
     Gottesdienst nahm. In der Ecke stand ein offener Sarg – eine gängige Praxis in der orthodoxen Kirche –, und Wanja fragte,
     warum der Mann darin gestorben sei.
    »Er war krank«, sagte Wika ohne nachzudenken. Wanja stand der Schreck ins Gesicht geschrieben.
    »Krank – das bin ich auch. Werde ich auch sterben?«, fragte er und Wika versuchte ihm zu erklären, dass er nicht krank war,
     auch wenn das Personal im Babyhaus das immer behauptet hatte.
    Eine Sache beunruhigte Wika jedoch: In Sonjas Wohnung lief ohne Unterlass der Fernseher. »Ich selbst hatte seit Jahren nicht
     ferngesehen, hatte noch nicht einmal ein Gerät. Nun |271| musste ich feststellen, dass Sonjas Mutter – Wanja nannte sie Babulja – mit ihm all ihre Lieblings-Seifenopern schaute. Bei
     einem meiner Besuche hörte ich die beiden lang und breit über eine dieser Sendungen sprechen. Mir wurde klar, dass Wanjas
     Leben sich hauptsächlich

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