Wolkengaenger
Adoptivfamilie auf: Während
Andrej die gleichen blonden Haare und dunklen Augen wie seine Adoptivschwester hatte, glich Wanja mit seinen dunklen Locken
Linda.
Wie viele Kinderfeste endete auch dieses mit jeder Menge Tränen, als Wanja erfuhr, dass sein Freund mit seiner neuen Familie
nach Amerika gehen würde. »Du wirst mir fehlen, Andrjuscha«, rief Wanja weinend und genoss gleichzeitig die liebevollen Versuche
der Umstehenden, ihn zu trösten. Bald waren die Tränen getrocknet. Zwar hatte niemand Wanja gesagt, dass auch er adoptiert
werden würde, doch er konnte spüren, dass die mütterliche Frau, die ihn im Arm hielt, künftig eine wichtige Rolle in seinem
Leben spielen würde.
Tom und Roz bestanden darauf, ein letztes Gruppenfoto in Gruppe 2 zu machen. Darauf sieht man neben Walentina, die Andrej
auf dem Arm hält, Roz, wie sie eine freundlich lächelnde Adela umarmt, deren Bedenken nun offensichtlich zerstreut waren.
Sarah erinnert sich bis heute, was geschah, nachdem sie auf den Auslöser gedrückt hatte und Tom und Roz Andrej aus dem Zimmer
trugen. »Jemand begann plötzlich ganz jämmerlich zu weinen, und als ich mich umdrehte und nach unten schaute, sah ich, dass
es Mascha war. Wie immer saß sie in einem angebundenen Gehfrei. Tränen liefen ihr übers Gesicht, und es war ihr anzusehen,
dass sie genau verstand, was in diesem Moment vor sich ging. Andrej hatte eine Familie gefunden, und ihr ganzer kleiner Körper
schien zu schreien: |177| ›Nehmt mich auch mit.‹ Sie begriff, dass sie für niemanden je den Mittelpunkt bilden würde.«
In den darauffolgenden Tagen wurde Andrejs Adoption entscheidend vorangetrieben. Das Gericht gab dem Antrag der Amerikaner
auf Adoption ohne weiteres statt, Andrej ließ die obligatorischen ärztlichen Untersuchungen bereitwillig über sich ergehen,
die amerikanische Botschaft stellte in Windeseile ein Visum für ihn aus, und wie von selbst begann Andrej, englische Worte
zu sprechen. Bald schon war er ganz verrückt nach Cheerios-Frühstücksflocken, und seine neuen Geschwister schlossen ihn täglich
mehr ins Herz.
Neben all den Terminen gelang es der Familie, Andrej etwas von der Stadt zu zeigen, in der er jahrelang gelebt hatte, ohne
je etwas davon gesehen zu haben. Sie führten ihn zum Roten Platz und zum Kreml und machten mit ihm eine Bootsfahrt auf der
Moskwa. Es war der Versuch, das Kind mit Wurzeln vertraut zu machen, die es gar nicht hatte. Seit dem Tag seiner Geburt vor
fünfeinhalb Jahren hatte er nichts anderes von der Welt gesehen als das Innere des Babyhauses 10. Von der Existenz einer Stadt
um ihn herum hatte er nicht einmal gewusst.
Bei ihrem Abschied rieten Tom und Roz Linda, sich denselben Anwalt zu nehmen wie sie, einen jungen Mann namens Grigori, der
ihnen von der amerikanischen Botschaft als günstige Alternative zu den großen amerikanischen Adoptionsagenturen empfohlen
worden war. Grigori war in jenem Ausschuss des russischen Parlaments tätig gewesen, der das Adoptionsgesetz ausgearbeitet
hatte, und gerade dabei, sich den Ruf eines Kämpfers gegen Korruption im Adoptionsgeschäft zu erwerben. Als Linda ihn in seinem
winzigen Büro aufsuchte, das er vom Außenhandelsministerium angemietet hatte, berichtete er ihr von den gewaltigen Summen,
die flossen, um die Mühlen der internationalen Adoptionen in Moskau zum Laufen zu bringen. So verlange eine große amerikanische
Adoptionsagentur pro Kind 30000 US-Dollar, von denen ein Teil in die Taschen der russischen Bürokraten floss. »Ich verspreche
Ihnen, wenn ich Sie vertrete, fließt nicht ein |178| einziger Cent Bestechungsgeld«, versicherte ihr Grigori. Was sich weder Linda noch Wanjas andere Unterstützer, denen sie von
ihrem Gespräch mit Grigori erzählte, klarmachten, war, dass mit der Verweigerung von Schmiergeldzahlungen in einem durch und
durch korrupten System Probleme vorprogrammiert waren.
Als Linda ihre Koffer für die Heimreise packte, sicherte sie allen zu, dass sie fest entschlossen sei, Wanja zu adoptieren.
Sie sagte, sie habe ihn innerlich bereits in ihre Familie aufgenommen und mache sich große Sorgen, dass er nicht jeden Tag
die physiotherapeutischen Behandlungen erhielt, die er brauchte. Sie wappnete sich für die bevorstehenden Prüfungen seitens
der britischen Behörden, die ihre Tauglichkeit als Adoptivmutter testen würden, und plante, ihre gesamte Familie heranzuziehen,
um die mehreren Tausend Pfund
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