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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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spät.
    Also gingen Sarah und Alan allein hinauf in den dritten Stock, wo sie an lauter leeren Zimmern vorüberliefen. Es schien niemand
     dort zu sein. Sie beschlossen, erst noch die Neurologin aufzusuchen, bevor sie zu Wanja gingen. Sie saß in einem geräumigen
     Zimmer mit einem großen Fernseher, der ohne Ton lief. Die tiefe Stille, die sie in dem Raum umfing, gab ihnen das Gefühl,
     als sei die Arbeit der Ärzte getan und kein russisches Kind würde noch auf seine Behandlung warten.
    Als sich die beiden nach Wanja erkundigten, sagte die Neurologin tatsächlich etwas Ermutigendes – das hatte es in einer staatlichen
     Einrichtung bislang noch nicht gegeben. Sie sei beeindruckt von den langen Sätzen, die Wanja formulieren könne. Schließlich
     ging sie sogar so weit, sich zu den Vernachlässigungen zu äußern, die er sowohl in emotionaler als auch in entwicklungspsychologischer
     Hinsicht erleiden musste.
    |181| »Das einzig Positive daran ist«, sagte sie, »dass gerade die Tatsache, dass ihm dies nicht endgültig schaden konnte, erkennen
     lässt, wie viel Potential in ihm steckt.«
    Zum ersten Mal sprach eine Ärztin über ihn wie über einen Jungen, der eine Zukunft besaß. Außerhalb der Mauern des Babyhauses
     und der Anstalt war es den Krankenhausärzten offenbar möglich, in ihm das intelligente Kind zu sehen, das er war.
    Die Neurologin verriet ihnen, dass sie sich mit ihren Kollegen zusammengetan habe, um den Leiter der Psychiatrie von Wanjas
     Fähigkeiten zu überzeugen. »Wir haben seine Diagnose verbessert«, verkündete sie stolz. »Er gilt nicht länger als schwachsinnig.
     Seine Diagnose lautet nun nur noch ›körperlich behindert‹. Nächstes Jahr kann er zur Schule gehen.«
    Sarah versprach, die guten Neuigkeiten gleich Linda zu überbringen. Dann nutzte sie die Gelegenheit, um der Ärztin einen Karton
     Schokolade zu überreichen. Das Gespräch endete dennoch unerfreulich.
    »Im Dezember kommt er dann wieder zu uns«, sagte die Neurologin. »Bis dahin kümmert man sich im Babyhaus um ihn, legt ihm
     seine Schienen an und trainiert täglich mit ihm.«
    »Das bezweifle ich«, erwiderte Sarah. »Die Betreuung im Babyhaus war bislang vollkommen unzureichend.«
    Die Ärztin blickte sie gequält an. Sie wollte sich die Wahrheit über den Müßiggang des Personals in den Babyhäusern offenbar
     nicht eingestehen.
    Als sie wieder auf den Flur traten, wurden sie von einem kleinen Jungen empfangen, der am anderen Ende einen Gehwagen vor
     sich herschob und ihnen breit grinsend zurief: »Sarah, Alan! Schaut mal!« Sein Jubelschrei schien durch das gesamte Krankenhaus
     zu hallen. Die Beine in Gipsschienen verpackt, kam er mit hocherhobenem Kopf aufrecht stehend auf sie zugelaufen. Das Kind,
     das noch vor Kurzem auf dem Boden herumgekrochen war oder hatte getragen werden müssen, gab es nicht mehr. Obwohl ihn jeder
     Schritt sichtlich schmerzte und er nur äußerst langsam vorwärtskam, war er |182| entschlossen, seinem Publikum zu zeigen, was in ihm steckte. Er warf einen Blick über die Schulter und rief der inzwischen
     eingetroffenen und glückselig lächelnden Wika zu: »Du kriegst mich nicht! Du kriegst mich nicht!« Mit vor Anstrengung verzerrtem
     Gesicht schleifte er seine steifen Beine zentimeterweise vorwärts. In seiner Vorstellung jedoch sauste er den Flur hinunter.
     Es war unmöglich, von dem starken Willen dieses Jungen nicht tief ergriffen zu sein.
    Vollkommen erschöpft stand Wanja einige Zeit später am Fenster und wartete auf die Ankunft des grauen Wolga, der ihn zurück
     ins Babyhaus bringen sollte. Nachdem sich Alan und Sarah von Wika und ihm verabschiedet hatten, gingen sie zum Fahrstuhl,
     wo ihnen eine verwirrte alte Dame mit einer grünen Arzthaube auf dem Kopf direkt in die Arme lief. Es war Adela, die zur Überraschung
     aller persönlich gekommen war, um Wanja abzuholen. Sie war ganz durcheinander, weil sie sich verspätet hatte, und murmelte
     etwas davon, dass sie direkt von einer Beerdigung käme.
    Am nächsten Tag erzählte Wika Sarah und Alan bei einer Tasse Tee die seltsame Geschichte von Wanjas Entlassung aus dem Krankenhaus
     und seiner Ankunft im Babyhaus 10. Erstaunt und gerührt hatte Adela zugesehen, wie liebevoll sich das Personal von Wanja verabschiedet
     hatte. Die Mutter eines anderen Kindes – es war die, die Wanja mit selbstgekochtem Essen versorgt hatte – sprang plötzlich
     auf ihn zu, schloss ihn weinend in die Arme und küsste ihn zum

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