Wollust - Roman
Happen gegessen habt, bekommt ihr auch wieder Appetit.«
»Ist Hannah wütend auf mich?«
»Sie ist als deine Verteidigerin aufgetreten, also schätze ich mal, nein. In zehn Minuten ist das Abendessen fertig. Bist du Rechts- oder Linkshänder?«
»Rechtshänder mit einer starken Linken … zumindest hatte ich mal eine starke Linke.«
»Das wird schon wieder. Da du Rechtshänder bist, steht deinem Schulbesuch wohl nichts im Weg.« Sie überlegte einen Moment. »Nach dem Arzttermin wollte ich mich nach Mietklavieren umsehen. Aber wenn du zu deiner Tante ziehst, ist das nicht mehr nötig.«
Der Junge schwieg.
»Wenn du bei ihr leben möchtest, weil sie deine Tante ist und du dich bei ihr wohler fühlst, kann ich deine Entscheidung nachvollziehen. Es ist schwer, bei Fremden zu wohnen. Aber geh nicht fort, weil du denkst, wir wären wütend auf dich. Ich kenne deinen Vater und glaube daher, du kannst durchaus einen kleinen Streit ertragen, ohne gleich zusammenzubrechen.«
»Es ist nicht der Streit, daran bin ich gewöhnt.« Gabe blickte weg. »Ich hab’s satt, jemandem zur Last zu fallen.«
»Wenn du eine Last wärst, wärst du nicht hier. Ich belaste mich nicht mehr, Gabe, dazu bin ich zu alt. Außerdem muss ich hier nichts aushalten, aber du. Mir geht es sehr gut. Und mach dir keine Sorgen über meinen Stress, ich habe zwei Jungs großgezogen. Sie waren ständig in irgendwas verwickelt – wobei ich zugeben muss, dass niemand ihnen je eine Waffe in die Rippen gedrückt hat.«
Der Teenager zuckte mit den Achseln. »Irgendwie zieh ich Ärger magnetisch an. Dinge passieren einfach, sobald ich in der Nähe bin.«
»Es ist nicht besonders schlau, sich in dieser Gegend im Dunkeln auf einem Parkplatz aufzuhalten. Ich werde mit der Schule sprechen. Zumindest könnten sie ja vernünftige Strahler anbringen.« Rina sah ihn an. »In Anbetracht der Tatsache, wer dein Vater ist, warst du wahrscheinlich dein ganzes Leben lang von Waffen umgeben.«
Er nickte.
»Besitzst du eine? Wenn ja, gib sie mir bitte, und ich verschließe sie in unserem Waffenschrank.«
»Ich hab keine Waffe.«
»Du würdest mich nicht anschwindeln, oder?«
»Nein. Ich schwör’s. Mit einer Waffe hätte ich nicht meine Fäuste eingesetzt.«
»Du hättest möglicherweise nicht zugepackt, aber das heißt noch lange nicht, dass du keine besitzst.«
»Hab ich aber nicht. Durchsuchen Sie das Zimmer.«
»Vielleicht, wenn du mal nicht da bist«, sagte Rina. »Ich würde niemals deine Privatsachen lesen, deine Mails oder Unterlagen, aber ich hätte kein Problem damit, unter Matratzen zu gucken und in andere schwer zu entdeckende Verstecke für Waffen oder Drogen.«
»Ich bin kein Drogi. Ich hab das Zeug noch nie in meinem Leben gekauft. Und ganz sicher trink ich nicht. Mein Vater ist Alkoholiker, genau wie meine Großväter väter- und mütterlicherseits. Ich hab’s in den Genen, also fang ich erst gar nicht damit an.«
»Und du hast wirklich keine Waffe?«
»Nein. Sie können sich jederzeit umsehen.«
Rina zuckte mit den Achseln. »Aber du kannst schießen, oder?«
»Jepp.« Er schwieg einen Moment. »Dafür hat Chris gesorgt.«
»Bist du ein guter Schütze?«
»Nicht so gut wie Chris. Ich hab eine ansehnliche Trefferquote. Ehrlich gesagt, ich hasse Waffen.«
»Da sind wir ja schon zu zweit. Ich kann auch schießen. Ich habe es gelernt, weil mein Mann es für eine gute Idee hielt.«
»Genau wie Chris.« Er war jetzt nachdenklich. »Mein Dad hat jede Menge Feinde. Er meinte, ich müsse lernen, mich und Mom zu beschützen. Er hat mich gedrillt. Er hat gerne mal auf mich geschossen, nur damit ich mich an das Geräusch der vorbeizischenden Kugeln gewöhne.«
»Das ist der blanke Irrsinn.«
»Mein Dad ist irre.« Der Junge lächelte. »Vielleicht waren es Platzpatronen. Er hat’s mir nie verraten.«
»Das ist ungeheuerlich, Gabriel.«
»Ja, es war ziemlich übel. Chris wär bestimmt nicht meine erste Wahl als Vater gewesen.« Ein Achselzucken. »Aber wahrscheinlich war er eine Stufe besser als sein eigener Vater. Chris hat mich nie missbraucht.«
Rina zog die Stirn hoch. »Auf sein Kind zu schießen, ist für dich kein Missbrauch?«
»Ich meine hier körperlichen Missbrauch. Chris’ Vater hat ihn ständig verprügelt. Normalerweise denk ich, dass Dad
lügt, aber ich hab die Narben selbst gesehen.« Er sah Rina an. »Mir ist ganz schlecht wegen Mom. Ich vermisse sie so. Aber da gibt es auch einen winzigen Teil von mir, der Chris
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