Wollust - Roman
von sich gab.«
»Haben Sie Garth zufälligerweise an dem Abend, als Adrianna in der Bar war, gesehen?«
»Ich kann mich nicht erinnern.« Sie schenkte den Kaffee ein, reichte jedem der Detectives einen Becher und setzte sich wieder auf die Couch.
Marge trank einen Schluck von ihrem Kaffee und schaute sich nach einem Untersetzer um.
»Stellen Sie den Becher einfach auf den Tisch«, sagte Yvette. »Ich habe keine Untersetzer, weil ich selten Besuch habe. Ich koche nicht, und um die Ecke ist der nächste Coffeeshop, mein zweites Zuhause.«
»Klingt praktisch«, sagte Oliver. »Sind Sie jetzt so weit, sich die Fotos anzusehen?«
»Ich glaube schon.«
Marge reichte ihr den Bogen mit sechs Porträts, den sie heute Morgen angefertigt hatte. Abgebildet waren sechs Männer mit ähnlichen Gesichtszügen – drei in der oberen Reihe, drei in der unteren. Tinsley befand sich unten rechts.
Widerstrebend nahm Yvette das Sechserpack in die Hand; ihr Blick schwenkte von einem Foto zum nächsten weiter. Dann blieb er hängen. »Oh mein Gott, der da.« Ihr Finger war rechts unten. »Das ist der Typ, mit dem Adrianna sich unterhalten hat.«
Marge und Oliver sahen sich an. »Sind Sie sich sicher?«
»Ganz sicher. Wenn Sie es bereits wussten, warum haben Sie mich dann gefragt?«
»Wir wussten es nicht, bis Sie es uns gesagt haben«, klärte Oliver sie auf.
»Sie haben ihn auf dem Bogen«, entgegnete Yvette. »Also müssen Sie es gewusst haben.«
Marge zuckte mit den Achseln, doch das reichte Yvette nicht. Ihre Hände begannen zu zittern. »Er hat mich gesehen , Sergeant! Er hat mich gesehen, ich habe ihn bedient, und jetzt habe ich ihn identifiziert. Muss ich da nervös werden?«
Mit gespielter Sorglosigkeit schüttelte Oliver den Kopf. »Aber nein, wir schnappen ihn uns jetzt und reden mit ihm. Wir wissen, wo er sich aufhält.«
»Woher denn? Wer ist dieser Mann?«
»Genau das müssen wir jetzt ergründen.«
Nach dem Arztbesuch ging Rina mit Gabe einkaufen. Er bestand darauf zu bezahlen, und Rina stritt sich nicht mit ihm. Es machte ihn glücklich. Rinas ganze Ausstrahlung bewirkte, dass er sich beruhigte, und sie bedrängte ihn nie. Sie versuchte nicht, ihn zu erziehen. Sie überließ ihm seine eigenen Entscheidungen, aber wenn er Fragen hatte, wusste sie Rat. Außerdem besaß sie einen großartigen Humor. Sie war so etwas wie eine Lieblingslehrerin. Als sie mit den Einkäufen fertig waren, hatte Gabe zwei Tüten voll Klamotten und zwei Paar neue Turnschuhe ergattert. Sie teilte ihm mit, sie müsse noch einiges an ihrer Schule erledigen, also setzte sie ihn zu Hause ab und gab ihm seine eigenen Schlüssel.
Er ging in sein Zimmer und begann damit, mal wieder Ordnung in seinem Kleiderschrank zu schaffen und ein paar Regale für seinen mageren Besitz freizuräumen. Er zog hier jetzt nicht ein, aber er wollte es sich ein bisschen gemütlicher machen. Danach las er, bis seine Augen wehtaten. Er versuchte zu schlafen, ohne Erfolg. Gelangweilt und einsam griff er nach der Gitarre und wusste dabei genau, dass er mit den Fingern seiner verletzten linken Hand besser nicht auf den Bünden herumdrücken sollte.
Scheiß drauf … ein paar kurze Stücke schadeten sicher nicht. Übertreib’s einfach nicht, sagte er zu sich selbst. Sich in Zurückhaltung üben … daran hatte es bei ihm nie gehapert.
Wenn überhaupt, dann musste er in sein Spiel genauso viel Gefühl wie technisches Können legen. Das hatte Lettech ihm wieder und wieder gesagt.
Er hatte einen Ohrwurm im Kopf, ein Lied, das sie im Radio gehört hatten. »Crossfire« – ein Blues, der unsterblich gemacht worden war durch Stevie Ray Vaughan. Er mochte Stevie Ray. Der war nicht nur technisch gesehen ein großartiger Gitarrist, sondern spielte extrem solide und konnte wie niemand sonst alles aus einer Note herausholen. Gabe gefiel es, wie Vaughan seine Gitarre als Echo auf seinen Gesang einsetzte, als ob die beiden miteinander reden würden.
Er hatte den Verstärker bis zum Anschlag aufgedreht. Das Instrument war totaler Schrott, aber der Verstärker war annehmbar und kompensierte die armselige Elektronik der Gitarre. Während der Song immer wieder in seinem Kopf abgespult wurde, begann er, Stevie Ray Note für Note zu kopieren, bis er die Fill-ins bis zum Gesang im Griff hatte. Jetzt ging es nur noch um das Solo. Er war derart in seine Musik vertieft, dass er nicht mitbekam, wie die Tür aufging. Als er aufsah, starrten ihn zwei Typen Mitte zwanzig an. Er
Weitere Kostenlose Bücher