Wollust - Roman
Ruhe lassen, wenn sie verängstigt statt wütend wirken würde.«
Gabe sagte nichts.
»Ich würde wirklich gerne mit deinem Vater sprechen. Ich schwanke zwischen seiner Schuld und Unschuld hin und her, und es wäre hilfreich für mich, seinen Standpunkt zu hören. Wenn du ihn anrufen und fragen könntest, ob er lediglich für ein Gespräch herkommen … sich vielleicht einem Lügendetektortest unterziehen würde, den er wahrscheinlich sowieso besteht, selbst wenn er deine Mutter umgebracht haben sollte.« Decker dachte einen Moment lang nach. »Wenn Chris ihr nichts angetan hat, möchte ich mich auf andere Spuren konzentrieren.
Und wenn sie freiwillig verschwunden ist…«, zum Beispiel mit einem reichen Arzt nach Indien, »… tja, dann wäre es angenehm, wir würden die Mittel des Reviers nicht für eine Suche nach Leuten verschwenden, die nicht gefunden werden wollen.«
»Lieutenant, ich kann Chris nicht anrufen und um einen Gefallen bitten. Der würde sich aufführen, als hätte ich ihn verraten oder so.« Gabe rieb sich die Augen. »Warten Sie einfach ab, bis er sich bei mir meldet.«
»Warum glaubst du, dass er das tun wird?«
»Weil ich meinen Dad kenne. Er wird wissen wollen, was Sie wissen, und der einfachste Weg, das rauszufinden, bin ich. Dann kann ich ihm sagen: ›Decker will, dass du herkommst und einen Lügendetektortest mitmachst.‹ Er wird wahrscheinlich sagen: ›Bullshit‹, oder was ähnlich Plakatives, aber wenigstens kann ich dann für Sie eintreten, ohne als Verräter dazustehen.«
Ein fairer Kompromiss. »Gut. Ich warte, bis er sich bei dir meldet. Wenn es so weit ist, lass hauptsächlich ihn reden.«
»Das kann er gut. Chris setzt sein Schweigen so effektiv ein wie seine Mauser. Aber ich komm schon mit ihm klar.« Gabe rieb sich wieder die Augen. »Ich werd ihm irgendwas anbieten müssen.«
»Erzähl ihm von Atik Jains. Das weiß er wahrscheinlich sowieso längst. Sag nichts über deine Mutter und dass sie einen indischen Arzt kennt.«
»Hatten Sie die Gelegenheit, all diese Namen abzuchecken?«
»Hatte ich, und ich habe eventuell auch eine Information.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Wie viel willst du wissen, Gabe? Weil du, wenn du Dinge weißt, deinen Dad eventuell anlügen musst.«
»Sie haben recht. Besser, ich weiß nichts.« Er verschränkte beide Arme vor der Brust. »Abgesehen davon, warum sollte
ich mir Sorgen machen, wenn sie absichtlich abgehauen ist?« Wut stand in seinen Augen. »Soll sie doch ein neues Leben ohne mich beginnen. Es ist ihr gutes Recht.«
»Ich bin mir sicher, dass sie, falls es denn so sein sollte, das Gefühl hatte, du wärst ohne sie besser dran.«
»Behaupten das nicht alle Mütter, wenn sie ihre Babys zur Adoption freigeben?«
»Du bist kein Baby mehr. Du bist selbstständig. Sie wusste, dass du damit klarkommst.«
»Und hier bin ich also … und komm prima damit klar.«
»Sie hat fünfzehn Jahre lang durchgehalten. Nach der Schlägerei fühlte sie sich wahrscheinlich nicht mehr sicher.«
»Ich weiß.« Ein Seufzer. »Sie haben recht. Sie hatte wohl tatsächlich das Gefühl, dass das ihre letzte Chance auf Freiheit war. Sie hatte gute Gründe für all das, was sie getan hat, aber das hilft nicht, den Schmerz zu lindern.«
38
Der Schmuck aus Tinsleys Wohnung lag fein säuberlich auf einer unbenutzten Plastikfolie ausgebreitet auf Deckers Schreibtisch. Er erläuterte Kathy Blanc gerade den Stand der Ermittlungen und den Grund für die Identifizierung des Schmucks. Sie geriet in Fahrt, als Decker zu der Stelle kam, dass er ihn hatte gehen lassen. »Dieses Monster durfte hier als freier Mann raus?«
»Er ist nicht im Gefängnis, steht aber unter Beobachtung«, beschwichtigte Decker sie. »Wir können ihn jederzeit wieder aufgabeln, sobald wir Beweise gegen ihn in der Hand haben.«
»Eine Frau, die ihn als den Mann identifiziert, der mit meiner Tochter gesprochen hat, reicht nicht aus? Seine Visitenkarte in der Manteltasche meiner Tochter reicht nicht aus? Das Auffinden meiner Tochter an seiner Arbeitsstätte reicht nicht aus? Was braucht ihr Witzbolde eigentlich noch, um jemanden festzunehmen?«
Die Fragen waren rein rhetorisch, aber Decker beantwortete sie, als seien sie ernst gemeint. »Hätten wir Tinsleys Visitenkarte in ihrer Manteltasche gefunden, dann hätte ich ihn möglicherweise hinter Schloss und Riegel hierbehalten. Die Wahrheit lautet aber nun mal, dass er uns von der Visitenkarte erzählt hat. Ansonsten wüssten wir
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