Wollust - Roman
wohlhabenden Viertel der Stadt ankam. Das Wohngebiet war auf dem Reißbrett entstanden, zweistöckige Häuser mit Garagen für je drei Autos auf zweitausend Quadratmeter großen
Grundstücken. Zur Wahl standen verschiedene architektonische Stilrichtungen: spanischer, englischer und sonstiger Kolonialstil, italienisch beeinflusst oder modern, was im Grunde nichts anderes hieß, als einen übergroßen Kasten mit übergroßen Fenstern zu versehen. Mehrere der Häuser waren gerade im Entstehen.
An der genannten Adresse schwirrte eine ansehnliche Truppe von Gaffern herum, die sich allesamt fast den Hals verrenkten, um etwas mitzubekommen. Ein Ü-Wagen eines Radiosenders stand schon in Positur, und ohne Zweifel waren noch mehr davon bereits auf dem Weg hierher. Decker parkte ungefähr einen halben Block von dem ganzen Trubel entfernt und ging zu Fuß zum Tatort. Er zückte seine Dienstmarke für einen der Streifenpolizisten und duckte sich dann unter dem gelben Absperrband hindurch.
Das Gerüst des zweistöckigen Hauses stand: Die Zimmer waren umrissen, die Fenster eingebaut, und das Dach war fertig. Auf der Rückseite hatten sich überwiegend Streifenpolizisten versammelt, aber Decker konnte auch ein paar Kamerablitze sehen, die schnell hintereinander aufleuchteten. Marge, die mit ihrem Partner Scott Oliver hergekommen war, hatte ihn zum Tatort durchgeboxt. Scott war wie immer tadellos gekleidet, diesmal in einem Jackett mit Hahnentrittmuster, einer schwarzen Hose, einer schwarzen Seidenkrawatte mit Jacquardmuster und einem gestärkten weißen Hemd. Während Decker sich der Leiche näherte, verstärkte sich der Gestank in der Luft durch die Exkrete. Ein trichterförmiger Schwarm von Fliegen, Mücken und anderer Fluginsekten umkreiste die Stelle.
Decker holte aus der Brusttasche seines Jacketts ein Töpfchen Wick VapoRub hervor und betupfte seine Nasenlöcher mit der Salbe. Er fuchtelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum, um die Insekten zu verjagen, während er auf den
Leichnam starrte, der sich an den Dachsparren hin- und herdrehte. Das Gesicht der Frau war so farblos und aufgedunsen, dass sie kaum mehr wie ein Mensch aussah. Sie war nackt, und ihr dunkles langes Haar versuchte vergebens, ihr etwas Sittsamkeit zu verleihen. Das Kabel war mehrmals um ihren Hals geschlungen worden, und die Enden waren um einen der Dachbalken geknotet. Ihre Zehennägel – rot lackiert – schwebten nur knapp über dem Boden.
»Gibt es Hinweise auf ihre Identität?«, fragte Decker.
»Bis jetzt nicht«, antwortete Marge. »Handelt es sich um Terry?«
Decker heftete seinen Blick auf die Tote. »Ich würde es ja gerne verneinen, aber ehrlich gesagt ist sie zu entstellt, um das zu tun.« Er holte seinen Notizblock hervor und machte ein paar Zeichnungen. »Welche Firmen verkabeln dieses Wohngebiet?«
»American Lifeline versorgt fast das gesamte Valley«, klärte Marge ihn auf. »Ich rufe dort an und besorge einen Plan, wer in der Gegend hier arbeitet.«
»Finde heraus, welche Sorte Kabel sie benutzen«, sagte Decker, »und setze jemanden darauf an, Elektrogeschäfte und Computerläden in der Umgebung anzurufen, um herauszufinden, welche Kabel sie verkaufen.«
»Das übernehme ich«, bot Oliver an.
»Nein, übergib die Anrufe an Lee Wang. Marge und du, ihr putzt die Klinken des Wohnviertels. Ich besorge noch ein paar Uniformierte, um euch zu unterstützen.« Decker fuhr fort, den Leichnam eingehend zu betrachten. »Haben wir sonst irgendeine Idee, wer das sein könnte?«
»Wynona Pratt fragt gerade bei den anderen Revieren nach, ob dort junge Frauen als vermisst gemeldet wurden.«
Decker rieb sich die Stirn und wandte sich an den Fotografen namens George Stubbs, ein grauhaariger untersetzter Mann Mitte fünfzig. »Sind Sie fertig mit ihr?«
»Fast.«
»Haben Sie ein paar Großaufnahmen vom Hals gemacht?«
»Ein paar, aber ich kann noch mehr machen.«
»Tun Sie das. Und wir brauchen Schnappschüsse des Knotens am Dachbalken.«
Marge hatte sich Handschuhe angezogen und studierte den Leichnam aufmerksam, indem sie ihn wie Aas umkreiste. Dem Gesetz nach durfte niemand die Leiche berühren, bevor der Gerichtsmediziner sein Okay dazu gab. »Wirkt wie ein unblutiger Mord. Keine Einschusslöcher, keine Stichwunden. Keine Abwehrspuren auf ihren Händen. Ihre Fingernägel sind nicht abgebrochen oder zerschrammt. Ihre French Manicure ist wie neu.« Sie blickte auf. »Hast du zufällig bemerkt, ob Terry sich die Nägel lackiert
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