Wuestenmond
konnte man uns nicht ködern: Wir kannten den Wert der Dinge.
Zu unserem Unglück zählte der junge Amenokal der Kel Rela, Mussa ag Amastane, kaum achtzehn Jahre. Seine Legitimität wurde von seinem Vetter Attici ag Amellal angefochten. Mussa war kein Hitzkopf, ließ die Dinge langsam angehen, ließ sich Zeit. Ein Amenokal übernimmt zwangsweise Verpflichtungen. Mussa wurde später als ›Freund der Franzosen‹ dargestellt, was in unseren Augen nicht unbedingt ein Lob war. So brach der große Ärger los.
Gemeinsam mit Ahitagel, dem damaligen Amrar der Kel Rela, und –
wie behauptet wird – hinter dem Rücken des jungen Amenokals beschloß Attici, die Mission Flatters in eine Falle zu locken. Attici war ein gerissener Ränkeschmied. Ein Ködertrupp schickte einen Teil der Soldaten in die falsche Richtung. Darauf erschien Ahitagel als rettender Engel, heuchelte Empörung, versprach Schmach und Verbannung für die ruchlosen Angreifer. Unter dem Vorwand, eine Wasserstelle zu suchen, lockte er Major Flatters und seine Adjutanten an einen abgelegenen Ort, Wadi Inhahoen genannt. Der Hinterhalt gelang prächtig und genau nach Plan. Die Franzosen kämpften vergeblich um ihr Leben. Die Tuareg hackten sie gewissenhaft in Stücke, häuften Zweige über ihre Leichen und zündeten sie an; die Wüste sollte nicht verunreinigt werden.
Ihres Führers beraubt, trat die Abteilung den Rückzug an. Immer wieder umzingelten die Tuareg die Kolonne, erbeuteten Packtiere, Wasservorräte und Lebensmittel, und zogen sich zurück, so rasch, wie sie aufgetaucht waren. Und jedesmal blieben einige Tote im Sand liegen. Mit letzter Kraft erreichte eine Schwadron die Oase Amguid. Dort hatte Attici klare Befehle gegeben. Man bewirtete die ausgehungerten Männer mit Datteln, die mit Bilsenkraut vergiftet waren. Einige starben unter furchtbaren Qualen. Andere wurden auf einen Felsvorsprung getrieben und gezwungen, sich von dort aus in die Tiefe zu stürzen. Nur wenigen gelang die Flucht. Im Fußmarsch schleppten sich die Soldaten ohne Wasser und Nahrung dahin.
Einige verloren den Verstand. Es wird berichtet, daß sie Hand an die Gefährten legten, um ihr Blut zu trinken und sich von ihrem Fleisch zu ernähren. Nur sechs Männer erreichen schließlich den Vorposten Uargla.
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In diesem Fall hatte Attici schlampige Arbeit geleistet: Er hätte sie alle umbringen sollen. Denn die Überlebenden erzählten ihre Geschichte. Und was uns jetzt drohte, war keine Kapitulation, sondern ein Vernichtungsfeldzug.«
»Hast du das alles noch im Kopf, Elias?«
»Wir haben ein gutes Gedächtnis.«
Elias hielt die starke algerische Zigarette zwischen Handfläche und kleinem Finger fest, so daß sie nicht den Mund berührte.
»Für die französische Kolonialmacht war der tragische Mißerfolg der Mission Flatters ein Schlag ins Gesicht. Major Cauvet, der Chef des Nebenforts Ain Salah, urteilte in einem späteren Bericht: ›Wenn wir die Tuareg so behandelt hätten, wie es geboten schien, nämlich als Gegner und Feinde, dann wären sie uns, trotz ihrer Tapferkeit, mit ihren primitiven Waffen auf jeden Fall unterlegen gewesen. Wir hätten so rasch wie möglich mit ihnen aufräumen und uns mit Gewalt den Durchgang öffnen müssen, solange sie noch keine Feuerwaffen hatten. ‹«
Ich starrte ihn fassungslos an.
»Noch keine Feuerwaffen?«
Er grinste.
»Du weißt doch, wir mochten sie nicht. Sie waren in unseren Augen Waffen für Feiglinge.«
»Das war nicht klug«, seufzte ich.
»Nein, natürlich nicht. Wir verachteten Feuerwaffen, aber wir mußten praktisch denken: Die Gefahr rückte täglich näher. Ein paar Gewehre hatten wir von Flatters und seinen Männern erbeutet, andere kauften wir oder tauschten sie ein. Wir hatten gute Augen, eine sichere Hand. Wir wurden bald hervorragende Schützen. Wir lebten in erregender Unruhe, ohne Verbindung mit der Welt, umgeben von Gefahren, die wie Geisterhände nach uns tasteten. Wir griffen Vorposten im Tidikelt an, als Warnung. Solange wir zusammenhielten, mochten wir vergessen, daß unsere Kräfte ihre Grenzen hatten und wir unsere Selbstgefälligkeit teuer bezahlen würden. Aber unsere Stammesverbände hatten keine Stabilität, sondern wechselten ihre Gesinnungen nach dem Willen der Männer, die sie führten. Das Schicksal hatte uns auf einen Kontinent verschlagen, der erobert wurde. Wir waren Weiße, wie die Franzosen es waren, bloß waren wir andere Wege gegangen. Nun standen wir zwischen der alten und neuen Zeit
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