Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
die Uhr. Es war drei Uhr in der Nacht, als er das letzte Blatt aus der Schreibmaschine zog und es in die Mappe legte. Kurz dachte er daran, nach Hause zu fahren. Lisa wiederzusehen, vielleicht freute sie sich sogar, wenn er wieder da war. Vielleicht war es nicht zu spät, die ganze Sache zu kitten.
Belustigt über seine eigene Naivität stand er auf, zündete sich eine Zigarette an und blies den Qualm in die kühle Pariser Nacht.
Natürlich nicht. Sie hatte sich die letzten Tage köstlich amüsiert und er konnte drauf wetten, dass die Verhaftung Rohns nicht der einzige Grund war, warum sein Chef grinste wie ein Honigkuchenpferd. Eine Welle der Wut durchfuhr Nikolas’ Körper, die er mit Gewalt zu verdrängen versuchte. Ohne Jackett und Wintermantel fröstelte es ihn nach wenigen Augenblicken. Trotzdem blieb er stehen und er ließ seinen Überlegungen freien Lauf.
War Rohn ein Teil dieses Spiels, oder einfach zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen?
Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Auf dem Weg in den Keller zog er sich seinen Mantel über und knallte die Mappe in Lugers Büro. Entweder war er noch unten im Verhörraum und ließ es sich nicht nehmen, den Feldwebel persönlich zu befragen, oder er war anderweitig beschäftigt. Die Treppen in das Kellergewölbe des Komplexes nahm er mit wenigen Schritten. Während draußen die Dunkelheit nichts als Schwärze für die Stadt bereithielt, lief die Maschinerie der SS auf vollen Touren. Etliche Büros waren noch beleuchtet, von den Verhörräumen im Keller ganz zu schweigen. Ein bestens geölter Motor, der sieben Tage die Woche lief und keine Pause brauchte. Und er war ein kleines Rädchen dieser beobachtenden, kontrollierenden und bestrafenden Instanz, die so viele Befugnisse hatte, dass es beinahe an Allmacht grenzte.
Das Licht war im Untergeschoss gedämpfter und die Türen dicker. Die bedrückende Enge des Raumes gefiel ihm nicht, sodass er seinen Gang beschleunigte. Das immer wiederkehrende dumpfe Geräusch seiner Schritte, das die Monotonie des langen Ganges widerspiegelte, lediglich unterbrochen von Stromgeneratoren, die ihr leises Surren in den Raum hineinwarfen, und von flüsternden Gesprächen der Wachposten am Ende des betonierten Flurs. Er musste sich in eine Liste eintragen, dann wurde die Tür geöffnet. Die kalte Luft roch abgestanden. Er bekam eine Gänsehaut. Konnte man die Büros der Avenue Foch als durchaus gemütlich bezeichnen, waren hier im Keller nichts als nackte Wände und die grausamen Geschichten, die sie erzählten. Vor einem der Verhörräume lungerten zwei Soldaten und rauchten. Als sie Nikolas entdeckten, nahmen sie Haltung an, schlugen die Fersen zusammen und erhoben den Arm zu Hitlergruß.
»Ist Luger da drin?«
»Jawohl, Herr Kriminalkommissar«, sagte einer von ihnen schneidig, den Blick frei geradeaus. Braves, kleines Rädchen.
Nikolas klopfte an die Tür und trat ein. Der Geruch von Schweiß und Blut drang ihm sofort in die Nase. Ein verschwitzter bulliger SS-Mann zog gerade seine Uniformjacke über, während Rohn, an Händen und Füßen gefesselt, auf dem Boden kauerte und Blut spuckte. Er sah noch schlimmer aus als bei ihrer ersten Begegnung. Das Gesicht des Mannes war übersät von Blutergüssen und das rechte Auge beinahe komplett zugeschwollen. Luger lehnte an der Wand, fuhr sich nachdenklich durch seinen Ziegenbart und blätterte in der Akte, von zwei weiteren Soldaten flankiert.
»Ah, Brandenburg auch noch hier? Wie Sie sehen, hat sich unser Gast bereits eingelebt.« Mit einem Knall schloss er die Akte und warf sie auf den Tisch. Dann versetzte er Rohn einen kräftigen Tritt in den Unterleib. »Zu schade, dass er heute um sechs schon nach Berlin gebracht werden soll. Aber was soll ich sagen? Das Volk wird die Geschichte lieben!« Dabei breitete er die Hände aus wie ein Schauspieler, der sich für den Applaus bedankt.
»Hat er etwas gesagt?«, erkundigte sich Nikolas, während Rohn keuchte und der kräftigte SS-Mann schnaubte.
»Hat alles zugegeben. Seine Fahnenflucht, die unzähligen Morde an Soldaten der Wehrmacht, die räuberischen Erpressungen und Diebstähle.« Sein Blick fiel auf Rohn. »Nur den kaltblütigen Mord an den zwei Soldaten heute, den will er partout nicht gestehen.« Luger versetzte ihm einen weiteren Tritt.
»Die Kleine!«, schnaubte Rohn, wobei mit jedem Wort eine Mischung aus Speichel und Blut aus seinem Mund tropfte. »Die kleine Schlampe war’s.«
Luger kicherte
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