Xeelee 4: Flux
Alter. »Dann bist du also die Oberströmlerin«, konstatierte sie im wimmernden Tonfall der Stadtgeborenen.
»Ja.«
»Wir haben uns schon auf deine Ankunft gefreut. Weißt du auch, weshalb?«
Gleichgültig zuckte Dura die Achseln.
»Weil ihr Oberströmler stark seid… Du arbeitest hart und hilfst uns bei der Erfüllung der Quoten.« Sie schniefte. »Solange du uns nicht ausstichst, wirst du keine Probleme haben.«
»Ich verstehe.« Diese Frau wollte sie offensichtlich warnen. »Danke, Rauc.«
Rauc führte sie unter den goldenen Decken-Feldern zurück zur Ansammlung von Hütten im Herzen der Farm, wo Dura bei der Ankunft abgesetzt worden war. Von Qos Frenks Wagen keine Spur; vor Duras geistigem Auge war er schon auf dem Rückweg zu seinem gemütlichen, stickigen Heim in der Stadt. Nun, mitten in der Schicht, lagen die Hütten verlassen: es handelte sich um kleine, quaderförmige Bauwerke, die an Seilen von Krusten-Baumstümpfen herabhingen. Dann gab es da noch eine kleine Herde freilaufender Schweine. Rauc sagte, daß die Tiere nicht zu kommerziellen Zwecken gehalten würden, sondern um Fleisch und Leder für die Kulis zu liefern. Rauc zeigte ihr kleine Lager mit Bekleidung, Luft-Säcken und Werkzeugen. Es gab auch eine Bäckerei mit rauchgeschwärzten Wänden, in der Brot, das Hauptnahrungsmittel der Kulis, hergestellt wurde. Ein großer, übergewichtiger Mann arbeitete in den düsteren Räumlichkeiten und bedachte Dura und Rauc mit einem grimmigen Blick, als sie in die Backstube schauten. Rauc schnitt eine Grimasse. »Immerhin ist das Brot frisch«, sagte sie. »Aber das ist dann auch schon alles, was dafür spricht… es wird nämlich nur der minderwertigste Weizen und die Nachlese verwendet, während der Rest nach Parz geliefert wird.«
Es gab auch ein Wohnheim, ein kleiner, enger Kasten, der mit Reihen von Kokons vollgepackt war. Etwa die Hälfte der Kokons war belegt. Eine Frau schaute sie schlaftrunken an und schlief gleich wieder ein, wobei der Mund offenstand und das Haar wirr herunterhing. Rauc wies auf einen leeren Kokon, den Dura mit Beschlag belegen durfte. Doch konnte Dura sich nicht vorstellen, hier zu schlafen, inmitten der schnarchenden und Windenden Leute, wo das Wohnheim doch von der frischen Luft des Mantels umfächelt wurde. Mit einemmal wurde ihr bewußt, daß sie hier genauso fehl am Platz war wie in Parz selbst. Schließlich waren die meisten Kulis Stadtgeborene und stammten zudem überwiegend aus der Unterstadt, wo die Wohnverhältnisse überdurchschnittlich beengt waren. Wenn die Kulis schichtfrei hatten, zwängten sie sich also in diese Kiste, wo sie jede intime Regung der anderen mitbekamen und sich einredeten, sie seien gar nicht hier draußen im Mantel gestrandet, sondern würden sich noch immer im sicheren Parz befinden.
Rauc lächelte sie an. »Ich glaube, daß wir miteinander auskommen werden, Dura. Du kannst mir von deinen Leuten erzählen. Und ich zeige dir, wie du hier zurechtkommst.«
»Frenk scheint in Ordnung zu sein…«
Rauc wirkte überrascht. »Ja, er ist schon anständig. Aber das spielt keine Rolle. Jedenfalls nicht in der Praxis. Ich werde dich der Aufseherin unserer Sektion vorstellen, Leeh. Auf sie kommt es an… aber auch nicht in dem Maße, wie sie es gern hätte. Now Robis – der die Geschäfte führt – hat die eigentliche Macht. Wenn er dir ein Lächeln schenkt, geht die Sonne auf.«
»Frenk hat gesagt, daß ich vielleicht auch einmal Aufseherin werde«, sagte Dura zögernd.
»Das erzählt er jedem«, erwiderte Rauc abfällig. »Komm mit, wir suchen Leeh; sie ist wahrscheinlich auf den Feldern…« Doch dann zögerte sie und schaute Dura fragend an. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, daß sie unbeobachtet waren, griff sie in eine Tasche ihres Kleids und brachte einen kleinen Gegenstand zum Vorschein. »Hier«, sagte sie und drückte Dura das Objekt in die Hand. »Es wird dir Glück bringen.«
Es war ein winziges Rad mit fünf Speichen und glich dem, das sie um Toba Mixxax’ Hals gesehen hatte… ein Modell der Exekutionsvorrichtung auf dem Marktplatz. »Danke«, sagte Dura in schleppendem Tonfall. »Ich weiß, was das zu bedeuten hat.«
»Wirklich?« fragte Rauc, wobei ihr Gesicht plötzlich Skepsis ausdrückte.
»Keine Sorge«, versuchte Dura ihre Bedenken zu zerstreuen. »Ich werde dich schon nicht verraten.«
»Das Rad ist illegal in Parz City«, sagte Rauc. »Theoretisch ist es im ganzen Mantel illegal… so weit die Armbrüste der
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