Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia
angriffslustig vorgestreckt.
„Weil sie überlebt hat“, erwiderte Irys. „Die anderen sind nicht so glimpflich davongekommen.“
„Wie viele waren es denn?“, fragte ich unwillkürlich, obwohl ich es gar nicht wissen wollte.
„Sie ist das elfte Opfer. Die anderen waren alle tot, als man sie fand. Sie wurden genauso misshandelt.“ In Irys’ Miene spiegelte sich Abscheu.
„Wie kann ich helfen?“, fragte ich.
„Eigentlich ist mentales Heilen meine stärkste Fähigkeit. Aber dann musste ich feststellen, dass ich mit dem Commander keinen Kontakt aufnehmen und ihm sein Bewusstsein zurückgeben konnte. Dir dagegen ist das gelungen“, erklärte sie.
„Was?“, rief Cahil. „Du hast dem Commander geholfen?“
Wütend funkelte er mich an, doch ich beachtete ihn nicht.
„Aber den Commander kannte ich. Ich wusste in etwa, wo ich ansetzen musste“, sagte ich zu Irys. „In diesem Fall bin ich mir nicht sicher, ob ich dir helfen kann.“
„Versuch es trotzdem. Die Leichen wurden in verschiedenen Städten in ganz Sitia entdeckt. Bis jetzt haben wir noch kein Motiv für die Morde gefunden, und es gibt keinen Verdächtigen. Wir müssen dieses Monster so schnell wie möglich zu fassen kriegen.“ Irys zupfte sich am Haar. „Das hier gehört nun mal zu den Problemen, mit denen du dich als Magierin beschäftigen musst. Betrachte es einfach als eine praktische Übung.“
Ich trat näher ans Bett. „Kann ich ihre Hand halten?“, fragte ich den Mediziner.
Er nickte und zog das Laken zurück. Der Körper des Mädchens war mit blutgetränkten Verbänden umwickelt, und an den Stellen, die die Bandagen freiließen, sah die Haut aus wie rohes Fleisch. Cahil stieß einen leisen Fluch aus. Ich warf Leif einen Blick zu, doch er hatte sein Gesicht zur Wand gedreht.
Offenbar war jeder Finger des Mädchens einzeln gebrochen worden, denn alle waren geschient. Vorsichtig ergriff ich ihre Hand und rieb mit meinen Fingerspitzen über ihre Handfläche. Ich zapfte die Kraftquelle an, schloss die Augen und projizierte meine Energie in sie hinein.
Ihre Seele hatte sie verlassen, und die entstandene Leere machte den Eindruck, als würde Tula nie wieder ins Bewusstsein zurückkehren. Graue, formlose und nicht fassbare Wesen schwebten durch das Vakuum. Bei näherer Betrachtung verkörperte jedes dieser Phantome Tulas Erinnerung an jeweils ein besonders schreckliches Erlebnis. Die Gesichter der geisterhaften Gestalten waren verzerrt vor Qual, Furcht und Entsetzen. Sengende Schmerzen entflammten meine Haut. Ich verdrängte die Phantome und konzentrierte mich darauf, die wirkliche Tula zu finden, die sich wahrscheinlich an einem Ort verborgen hielt, wo sie für die Schreckgespenster unerreichbar war.
Auf einmal hatte ich das Gefühl, als kitzelten Grashalme meine Haut. Der frische, erdige Geruch einer taubedeckten Wiese lag in der Luft, dessen Herkunft ich jedoch nicht ausfindig machen konnte. Ich suchte so lange, bis meine Kräfte versagten und ich die Verbindung nicht länger aufrechterhalten konnte.
Schließlich öffnete ich die Augen. Ich saß auf dem Boden; die Hand des Mädchens hielt ich immer noch umklammert. „Tut mir leid“, sagte ich. „Aber ich kann sie nicht finden.“
„Habe ich nicht gleich gesagt, dass es Zeitverschwendung ist?“ Leif schoss aus seiner Ecke hervor. „Was habt Ihr denn von einer aus dem Norden erwartet?“
„Ich werde sie bestimmt nicht so schnell aufgeben wie du“, rief ich ihm nach, als er aus dem Zimmer stürmte.
Mit gerunzelter Stirn sah ich ihm hinterher. Es musste einen anderen Weg geben, um Tula aufzuwecken.
Der Mediziner löste die Hand des Mädchens aus meiner und schob sie unter die Decke zurück. Ich blieb auf dem Boden sitzen, während er und Irys über den Zustand der Patientin diskutierten. Ihr Körper würde sich erholen, glaubten sie, befürchteten jedoch, dass sie nie wieder bei klarem Verstand sein würde. Aus ihrem Gespräch hörte ich heraus, dass ihr offenbar das gleiche Schicksal drohte wie den Kindern, die Reyad und Mogkan in Ixia herangezüchtet und deren magische Kräfte sie sich einverleibt hatten, sodass nur leere, seelenlose Hüllen zurückgeblieben waren. Noch immer überlief mich eine Gänsehaut, wenn ich mich daran erinnerte, wie die beiden widerwärtigen Männer versucht hatten, meinen Willen zu brechen.
Ich konzentrierte mich wieder auf Tulas Situation und dachte angestrengt nach. Auf welche Weise war es mir gelungen, den Commander zu finden? Er hatte
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