Yelena und die Magierin des Südens - Snyder, M: Yelena und die Magierin des Südens
schrie sie vor Entsetzen laut auf wie ein kleines Kind. Plötzlich nahm das Schreien eine andere Qualität an – es verwandelte sich in eine Materie, die sich ausbreitete, ihren Körper umhüllte und ihre Haut streichelte. Sie hatte das Gefühl, in angenehm warmem Wasser zu treiben.
Als Nächstes erinnerte sie sich daran, auf dem Bo den zu sitzen und zum Fenster emporzuschauen. Reyad betrachtete sie mit hochrotem Kopf. Sein sonst stets makellos frisiertes blondes Haar war zerzaust. Entzückt warf er ihr eine Kusshand zu.
Die einzige Möglichkeit, diesen Sturz zu überstehen, war Zauberei. Nein. Unmöglich, beharrte sie. Es mussten irgendwelche seltsamen Windströmungen gewesen sein – oder sie hatte einfach Glück gehabt und war deshalb unverletzt gelandet. Aber Zauberei war es auf keinen Fall!
Zauberei oder Magie waren verbotene Wörter in Ixia, seitdem Commander Ambrose die Herrschaft übernommen hatte. Magier waren in seinen Au gen nur Moskitos, die Krankheiten übertrugen. Sie wurden gejagt, gefangen und getötet.Jeder Hinweis oder allein die Vermutung, dass jemand über magische Kräfte verfügte, kam einem Todesurteil gleich. Die einzige Überlebenschance bestand in der Flucht nach Sitia.
Die Patientin wurde zunehmend erregter, und ihre Bettnachbarn blickten verwundert zu ihr hinüber – zu mir hinüber. Eins nach dem anderen, befahl ich mir. Wenn ich mir die Vergangenheit in kleinen Dosen verabreichte, konnte ich leichter damit fertig werden. Jedenfalls war ich bei dem Sturz nicht verletzt worden, und Reyad behandelte mich eine Zeit lang sehr nett. Aber seine Freundlichkeit währte nur so lange, bis ich erneut bei seinen Tests versagte.
Um mich von meinen Erinnerungen abzulenken, zählte ich die Risse in der Zimmerdecke. Ich war bei sechsundfünfzig angelangt, als Valek hereinkam.
In einer Hand trug er ein Tablett mit Speisen, in der anderen hielt er einen Aktenordner. Misstrauisch beäugte ich das dampfende Omelett. „Was ist da drin?“, wollte ich wissen. „Noch mehr Schlaftabletten? Oder ein weiteres neues Gift?“ Jeder Muskel meines Körpers hatte sich verspannt. Vergeblich versuchte ich, mich aufzusetzen. „Wie wäre es, wenn Ihr mir zur Abwechslung einmal etwas gäbt, was mir gut tut?“
„Wie wäre es mit etwas, das dich am Leben hält?“, konterte Valek. Er half mir hochzukommen und reichte mir eine Pipette mit meinem Gegengift. Anschließend stellte er das Tablett mit den Speisen auf meinen Schoß.
„Schlaftabletten sind nicht nötig. Die Ärztin hat mir gesagt, dass du sie gestern Abend herausgeschmeckt hast.“ In Valeks Stimme schwang Anerkennung mit. „Probier dein Frühstück und sag mir, ob du dem Commander erlauben würdest, es zu essen.“
Valek hatte wirklich nicht übertrieben, als er sagte, dassich keine freien Tage haben würde. Seufzend roch ich an dem Omelett. Keine auffallenden Aromen. Ich teilte es in Viertel und prüfte jedes auf ungewöhnliche Zutaten. Nacheinander schob ich mir einen Bissen von jedem Stück in den Mund und kaute bedächtig. Beim Hinunterschlucken achtete ich auf einen auffälligen Nachgeschmack. Ich schnupperte am Tee und rührte ihn um, ehe ich den ersten Schluck nahm und ihn über meine Zunge rollen ließ. Beim Hinunterschlucken bemerkte ich einen süßlichen Geschmack.
„Wenn der Commander nichts gegen Honig hat, würde ich dieses Frühstück nicht zurückgehen lassen.“
„Dann iss es.“
Ich zögerte. Wollte Valek mich hinters Licht führen? Falls er nicht ein mir unbekanntes Gift benutzt hatte, war das Frühstück unbedenklich. Ich verspeiste es restlos und trank den Tee unter Valeks wachsamen Blicken.
„Nicht schlecht“, sagte er. „Kein Gift … heute.“
Einer der Ärzte brachte Valek ein zweites Tablett. Darauf standen vier Tassen mit einer olivgrünen Flüssigkeit, die nach Minze roch. Valek tauschte die beiden Tabletts aus und sagte: „Ich möchte einige Probiertechniken durchgehen. Jede dieser Tasse enthält Pfefferminztee. Koste von einer.“
Ich griff nach der Tasse, die mir am nächsten stand, und nahm einen Schluck. In meinem Mund breitete sich ein al les andere überlagerndes Aroma von Minze aus. Ich musste husten.
Valek lächelte verschmitzt. „Schmeckst du sonst noch etwas heraus?“
Ich nahm einen zweiten Schluck. Die Minze dominierte immer noch. „Nein.“
„Gut. Jetzt halte dir einmal die Nase zu und versuche es dann noch einmal.“
Mit dem bandagierten Arm fiel es mir schwer, mir die Nase zuzuhalten und
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