Ysobel – Das Herz aus Diamant
hatte. Das Lager hatte sich längst zur Nachtruhe begeben, als vier der Ritter das fürstliche Zelt verließen und sich, eng in ihre Mäntel gehüllt, auf den Weg zu ihren eigenen Männern machten. Sie alle waren mit schönen jungen Frauen verheiratet, die sie leidenschaftlich liebten – und ebenso leidenschaftlich hassten sie den Wolf von St. Cado, und das aus sehr persönlichen Gründen. Insbesondere Kérven des Iles, dessen Gemahlin Gradana das Licht der Welt erblickt hatte, weil Cocherel ihre Mutter geschändet und misshandelt hatte, brannte vor Wut auf den Söldnerführer. 2
»Ihr werdet Euch zügeln müssen, mein Freund«, riet ihm Raoul de Nadier, der seine entzückende Gemahlin ebenfalls unter den Untaten des Herzoges von St. Cado hatte leiden sehen. 3 »Dieses Mal wird unser Herr kein Risiko eingehen und Cocherel mit der ganzen Macht seiner fürstlichen Autorität vom Angesicht dieser Erde vertreiben.«
»Macht Ihr Euch keine Sorgen um Comper?«, fragte der Graf von Vannes. »Er ist Euer engster Freund und hat im Winter einen heldenhaften Kampf für Eure Rehabilitierung gefochten.«
»Ich weiß.« Raoul de Nadier nickte. »Aber ich vertraue seinem Scharfsinn und seiner Klugheit. Er gehört zu den wenigen Leuten, die sich stets vom Verstand leiten lassen.«
»Wie bedauerlich, dass es niemandem gelungen ist, eine Spur der Schwester des Seigneurs von Locronan zu entdecken«, seufzte Kérven des Iles. »Es will mir nicht in den Kopf, dass tatsächlich eine der Novizinnen bei diesem schrecklichen Überfall getötet wurde. Es ist so ungerecht, nachdem die anderen sich alle retten konnten!«
»Paskal Cocherel wird dafür büßen«, knirschte Jannik de Morvan und hieb mit der Faust in die offene rechte Hand. »Es ist an der Zeit, dass wir ihm die Rechnung für seine mörderischen Untaten präsentieren. Auch für den Tod von Ysobel de Locronan, dessen dürft Ihr gewiss sein!«
Vier Hände fanden sich, um den gemeinsamen Schwur zu bekräftigen, dann gingen die Ritter auseinander, bereit für die letzte große Schlacht.
Die Wolken aus dem Westen hatten Regen gebracht. Schräg peitschte das Wasser gegen das Mauergeviert der alten Burg von Locronan, lief an den Steinquadern herab und verwandelte den festgetretenen Lehmboden der Höfe in Morast. Die Menschen, die sich neben dem offenen Brunnenhaus aneinanderdrängten, waren ihm schutzlos ausgeliefert. Ihre Bewacher standen trocken unter dem Vordach der Ställe und warfen ihnen lediglich hin und wieder einen gelangweilten Blick zu.
Direkt am Rund des Brunnens, wo das ziegelgedeckte Dach mit der Konstruktion für den Zieheimer wenigstens eine Illusion von Schutz gab, drängten sich Mathilda de Locronan und ihre Damen aneinander. Aus ihren Schluchzern waren verzweifelte Seufzer geworden, und sogar Volberte war in düsteres Schweigen versunken. Ihre steife, gestärkte Leinenhaube hing nass und schlaff über ihre Schultern.
Sie hatte gerade Dame Thildas Robe für den Tag bereitgelegt, als die Bewaffneten in das Gemach stürmten und sie mitsamt den Kammerzofen und Ehrendamen auf die rüdeste Art die Treppe hinunter- und auf den Hof hinaustrieben. Seitdem glaubte sie in einem Albtraum gefangen zu sein, aus dem sie vergeblich aufzuwachen versuchte. Wer den Söldnern nicht gehorchte, wurde mit Fausthieben, Peitschenschlägen und Tritten auf den Weg gebracht. Vorbei an den Toten und Verwundeten in der Halle, wo zu diesem Zeitpunkt noch der Leichnam des Seigneurs lag, dessen leblose Augen auf die Standarten an der Decke starrten.
»Was werden sie mit uns tun?«, wisperte Aline de Abrèsle, eine zierliche Dunkelhaarige, deren Schönheit durch eine allzu spitze Nase beeinträchtigt wurde. Sie hatte wie so viele junge Edeldamen in den zurückliegenden Kämpfen ihren Gatten verloren und hoffte seit Jahren vergeblich auf eine neue Heirat. Die anfangs so glänzende Chance, der reichen Herrin von Locronan als Ehrendame zu dienen, hatte sich als Sackgasse in die Einsamkeit entpuppt. Dieses Paar erschien nicht bei Hofe, machte keine Reisen und empfing keine Freunde und Besucher. Ebenso gut hätte sie in ein Kloster gehen können. Und nun auch noch dies ... Aline brach erneut in Tränen aus.
»Hört auf zu heulen«, zischte Dame Thilda wütend und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Glaubt Ihr, diese Kerle dort drüben würden von Euren Tränen gerührt? Benehmt Euch gefälligst nicht wie eine Gans!«
Dame Aline schluchzte noch heftiger und wich vor ihrer Herrin zurück. Mit
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