Ysobel – Das Herz aus Diamant
»Was wollt Ihr statt dessen tun? Die armen Leute im Stich lassen? Wenn das nicht typisch für die hohen Herrn ist, die so schön von ritterlicher Ehre und Moral faseln können, wenn es nichts kostet.«
»Zänkisches Weib!«, erwiderte Jos. Er durchschaute ihren Versuch, an seine Ehre zu appellieren. Manchmal war sie raffinierter, als es ihr guttat. »Wie oft muss ich Euch noch sagen, dass ich zwar meinen Ritterschwur geleistet habe und ihn zu halten gedenke, aber deswegen noch lange kein Träumer bin? Ich liebe meine Haut, und ich würde sie gerne noch ein paar Jahre unversehrt tragen!«
Ysobel hätte ihm gerne bestätigt, dass sie den gleichen Wunsch empfand, aber es war wohl nicht der passende Zeitpunkt dafür. Sie merkte zu deutlich, wie es ihm widerstrebte, das unkalkulierte Risiko dieser Befreiung einzugehen. Er hatte schon zuvor mit Engelszungen auf sie eingeredet. Seit sie wieder Kleider trugen und er sich erneut für den Anführer dieses Abenteuers hielt.
»Entweder Ihr helft mir, oder ich versuche es alleine«, hatte sie ihm getrotzt. »Ich zwinge Euch zu nichts, und ich verlange nichts von Euch. Geht und holt die tapfere Ritterschar Jean de Montforts, ohne die Ihr offensichtlich keine Heldentaten vollbringen könnt. Ich tue derweilen, was ich für richtig halte ...«
Kaum hatten sie die Hände voneinander gelöst, kaum hatte sich ihr Atem beruhigt und ihr Herzschlag verlangsamt, begann der Streit von neuem. Ein Streit, den Ysobel bewusst schürte, ohne dass Jos begreifen konnte, weshalb. Dass sie annahm, es wäre leichter, sich im Zorn von ihm zu trennen, begriff er nicht. Für ihn stand ohne große Erklärungen fest, dass Ysobel an seiner Seite bleiben würde. Ihre Rechthaberei war für ihn nur eine Seite ihres vertrackten Charakters, mit dem er einfach leben musste.
Sein Widerstreben gegen die Befreiung von Cocherels Geiseln beruhte auf der Tatsache, dass sie sich mit diesem Abenteuer in Gefahr brachte. Wenn sie dem Mordbrenner in die Hände fiel, würde jener nicht einmal den nächsten Sonnenaufgang abwarten, um diese erstklassige Beute an seinen Sklavenkapitän weiterzureichen. Sie war keine Jungfrau mehr, aber eine junge Frau auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit. Ganz Licht, Kupfer, Gold und Elfenbein. Der bloße Gedanke, sie möglicherweise zu verlieren, machte ihn so gereizt wie ein verletztes Raubtier.
»Sie müssen im alten Weinkeller sein«, holte ihn Ysobel in die Gegenwart zurück. Sie lauschte vorsichtig ins Dunkel des feuchten Ganges. »Der Raum ist groß genug und besitzt zudem eine stabile Bohlentür mit einem funktionierenden Riegel. Wenn wir Glück haben, gibt es deshalb kaum Bewacher!«
»Bei Gott, man könnte meinen, du diskutierst im Rat des Herzogs die Chancen für einen kühnen Handstreich zum Auffüllen der Schatzkammer«, erwiderte Jos verwundert.
»Müsst Ihr ausgerechnet jetzt solche Scherze machen?«, beschwerte sich Ysobel. »Habt Ihr denn kein Herz in der Brust?« Ein ungerechter Vorwurf, das wusste sie selbst.
Das Weinen verstummte, und die beiden Verschwörer standen sich schweigend gegenüber. Dennoch war sich jeder der Anwesenheit des anderen bewusst. Ysobel glaubte Ungeduld und Verärgerung bei Jos zu spüren, den drängenden Wunsch, der Lage zu entfliehen. Sie konnte es ihm nicht verübeln. Sie wusste, dass sie ihn in Konflikt mit seinem Auftrag brachte, ja dass sie die Macht ihrer Leidenschaft über ihn auf hässliche Weise missbrauchte.
Jos seinerseits meinte zu wissen, dass sie etwas vor ihm geheim hielt. Seine Schlussfolgerung war klar: Sie hatte immer noch kein Vertrauen zu ihm. Sobald keine körperliche Verbindung mehr zwischen ihnen bestand, schien sie nichts mehr für ihn zu empfinden. Wie war das möglich? Wie konnte sie mit solcher Hingabe und Leidenschaft seine Liebe teilen und danach kühler als Stein sein? Was ging in ihr vor?
All diese Vermutungen, Schuldzuweisungen und Empfindlichkeiten standen wie eine Wand zwischen ihnen. Jeder mühte sich, die Kränkung darüber zu verbergen, und bei beiden hatte es zur Folge, dass sie sich kühler und distanzierter gaben, als es eigentlich in ihrer Absicht lag.
»Habt Ihr die Laterne, den Zunder?«, erkundigte sich Ysobel.
»Natürlich«, brummte er. »Aber dank deiner Katzenaugen wird es wohl kaum nötig sein, dass wir beides gebrauchen.«
Ysobel presste die Lippen aufeinander. Sie fühlte immer noch den Nachhall des Liebesaktes, konnte ihre Empfindungen nicht völlig verdrängen, ihre Gedanken schweiften
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