Zaertlich beginnt die Nacht
Rezeption einen dicken braunen Umschlag in Nicolos Suite hinaufbringen. Nicolos Anwalt hatte die notwendigen Papiere für die Hochzeit per Kurier geschickt. Das Anschreiben besagte, Nicolo brauche nur am nächsten Morgen mit den Unterlagen und der zukünftigen Braut in einem Gebäude in Lower Manhattan vorzusprechen, nach einem bestimmten Richter zu fragen und innerhalb einer Stunde sei er ein verheirateter Mann.
Diese Unterlagen waren für Nicolo eine mahnende Erinnerung, wie idiotisch er sich benommen hatte.
Um elf ging er zu Bett. Um zwölf stand er wieder auf, weil er keinen Schlaf fand. Nachdem er eine geschlagene Stunde in der Suite hin und her getigert war, legte er sich wieder hin und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf, träumte wirres Zeug von einem kleinen Jungen, der durch die leeren Gänge eines düsteren Bankhauses lief, auf der verzweifelten Suche nach etwas Unbekanntem, das er nicht finden konnte. Jedes Mal, wenn der Junge das Unbekannte gerade fassen wollte, verschwand es, und Nicolo wachte schweißgebadet auf.
Im Morgengrauen schließlich gab er auf, bestellte beim Zimmerservice Kaffee und Toast, die „Times“ und das „Wall Street Journal“. Geduscht und lässig gekleidet setzte Nicolo sich zum Frühstück hin und schlug die Zeitschriften auf. Der Kaffee war stark, der Toast trocken. Genau wie die Zeitschriften. Warum sonst sollte er sich wohl nicht auf die Artikel konzentrieren können?
Angewidert warf Nicolo die Zeitschriften beiseite und sah auf seine Armbanduhr. Bestimmt zum zehnten Mal, seit er aufgestanden war. Halb acht. Zu früh, um auf Aimees Schwelle zu erscheinen und ihr zu sagen, dass die Heirat abgeblasen war.
Er konnte sich ihre Erleichterung bestens vorstellen. Vielleicht würde sie ihn sogar anlächeln. Das letzte echte Lächeln hatte er während ihrer gemeinsam verbrachten Nacht von ihr geschenkt bekommen.
Ja, er war auch froh. Und wenn er gereizt war, dann nur, weil er diese ganze Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte.
Viertel vor acht.
Zehn vor acht.
Drei Minuten vor acht.
„Merda !“ Mit einem lauten Fluch sprang Nicolo auf. Er konnte jederzeit bei Aimee auftauchen, schließlich überbrachte er gute Neuigkeiten. Und sich etwas Besonderes anzuziehen, brauchte sie auch nicht mehr, sie gingen ja nirgendwohin.
Stoßstange an Stoßstange quälten sich die Autos durch den dichten Morgenverkehr, und so war es halb neun, als Nicolo die Außenstufen vor Aimees Wohnhaus hinaufstieg. Der Regen hatte nichts von dem undefinierbaren Schmutz auf den Steinstufen weggewaschen.
Als Erstes würde er ihr eine Eigentumswohnung in einer anständigen Gegend kaufen. Das hier war kein Ort, um ein Kind aufzuziehen. Er drückte auf den Klingelknopf, wartete, drückte noch einmal.
Wahrscheinlich stand Aimee unter der Dusche und machte sich fertig. Obwohl …, nein, so wie er Aimee kannte, machte sie sich bestimmt nicht fertig.
Fast hätte er gegrinst. Was immer sie sonst sein mochte, auf jeden Fall hatte sie Courage. Keine andere Frau hatte sich ihm bisher entgegengestellt. Und er wusste auch, dass der Streit von gestern noch nicht vorüber war. Sobald Aimee ihn vor der Tür stehen sah, würde sie ihm wahrscheinlich in blumigen Worten wissen lassen, was er mit seinem Heiratsantrag machen konnte. Nun, er würde sie eine Weile toben lassen, bevor er ihre Tirade unterbrach und ihr mitteilte, dass der Antrag keine Gültigkeit mehr hatte.
Eher würde ich mit einem Skorpion zusammenleben als mit Ihnen, cara.
Die Tür wurde aufgezogen, und Nicolo musste erkennen, dass er mit seinen Annahmen völlig danebengelegen hatte.
Aimee schob nicht das Kinn vor. Sie tobte auch nicht. Und obwohl er über eine Stunde zu früh war, machte sie den Eindruck, als hätte sie auf ihn gewartet. Sie trug ein schlichtes gelbes Sommerkleid und flache Sandalen, das Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihre Augen glänzten verdächtig, als hätte sie geweint.
Sie sah unglaublich jung aus, rührend verletzlich – und unermesslich schön. Für einen verrückten Moment hatte er das Bedürfnis, sie in seine Arme zu nehmen, zu trösten und ihr zu versichern, dass sie sich nie wieder Sorgen zu machen brauche, denn er war da, um sie zu beschützen …
Nicolo runzelte die Stirn und räusperte sich. „Aimee, ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen …“
Jetzt schob sie das Kinn doch vor. „Was? Mehr Drohungen? Die Mühe können Sie sich sparen.“ Sie holte
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