Zaertlich ist die Nacht
auf sie warteten. Es war erregend, aus dem nassen Nebel zu kommen, die Türen hinter sich schlagen zu hören und von Gefühlen geschüttelt zu lachen, mit dem Sturm in den Ohren und nassgeregneten Kleidern. Im Ballsaal spielte das Orchester jetzt einen Walzer von Strauss, laut und verwirrend.
… Dass Doktor Diver eine seelisch gestörte Patientin geheiratet hatte – wie war es geschehen? Wo hatte es angefangen?
»Wollen Sie nicht wieder zurückkommen, wenn Sie sich umgezogen haben?«, fragte Baby Warren, nachdem sie ihn genauer gemustert hatte.
»Außer ein Paar Lederhosen habe ich nichts zum Wechseln«, sagte er. Und als er in einem geborgten Regenmantel zu seinem Hotel hinauftrottete, lachte er spöttisch – tief in der Kehle.
»Na, toll – oh, ja. Mein Gott! – sie haben beschlossen, sich einen Doktor zu kaufen? Dann sollen sie sich mal lieber an das halten, was in Chicago so auf dem Markt ist.« Angewidert von seiner eigenen Bitterkeit suchte er sofort nach mildernden Umständen für Nicole. Er dachte daran, dass er noch nie so etwas Junges wie ihre Lippen gekostet hatte, dass der Regen auf ihrem sanft schimmernden Porzellangesicht an Tränen erinnert hatte, die sie um ihn vergossen hatte …
Die Stille nach dem Sturm weckte ihn gegen drei. Er stand auf, sah zum Fenster hinaus und schon kam Nicoles |241| Schönheit den sanften Hügel hinauf und raschelte geisterhaft durch die Vorhänge zu ihm herein …
Am nächsten Morgen stieg er zweitausend Meter zu den Rochers-de-Naye hinauf und stellte zu seinem Vergnügen fest, dass der Schaffner aus der Seilbahn seinen freien Tag ebenfalls für eine Bergtour benutzte.
Am Nachmittag rannte er den ganzen Weg nach Montreux hinunter, um dort im See zu schwimmen, und kam sogar noch rechtzeitig zum Abendessen in sein Hotel zurück, wo zwei Nachrichten auf ihn warteten.
Ich schäme mich gar nicht für gestern Abend – es war das Netteste, was mir je passiert ist, und selbst, wenn ich Sie nie wiedersehen sollte, Mon Capitaine, wäre ich froh, dass es geschehen ist.
Das war entwaffnend genug, und der schwere Schatten von Dohmler verschwand, als er den zweiten Brief öffnete.
Lieber Doktor Diver, ich habe Sie angerufen, aber Sie waren nicht im Hotel. Ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten. Unvorhergesehene Umstände rufen mich zurück nach Paris, und ich habe festgestellt, dass ich über Lausanne schneller dort hinkommen kann. Können Sie Nicole mit sich zurück nach Zürich nehmen? Sie fahren ja ohnehin am Montag zurück. Können Sie meine Schwester im Sanatorium absetzen? Oder ist das zu viel verlangt?
Stets die Ihre,
BETH EVAN WARREN
|242| Richard war wütend. Wusste Miss Warren denn nicht, dass er mit dem Fahrrad da war?! Und trotzdem hatte sie ihre Bitte so formuliert, dass er unmöglich ablehnen konnte. Man wollte sie also verkuppeln. Mit süßer Nähe und dem Geld der Familie Warren!
Aber Dick irrte sich; Baby Warren hatte keineswegs solche Absichten. Sie hatte ihn mit erfahrenen Augen gemustert, am verbogenen Maßstab der Anglophilen gemessen und reichlich ungenügend, wenn auch sehr appetitlich gefunden. Er war ihr zu intellektuell, und sie packte ihn in dieselbe Schublade wie die hochnäsig-ärmlichen Akademiker, die sie in London gekannt hatte. Er legte sich einfach zu sehr ins Zeug, als dass er jemals ein richtiger Aristokrat nach ihren Vorstellungen hätte sein können.
Außerdem war er verstockt – sie hatte sehr wohl bemerkt, dass er sich ein halbes Dutzend Mal aus dem Gespräch zurückgezogen und glasige Augen gekriegt hatte, wenn sie sich mit ihm unterhielt. Sie hatte Nicoles offene und lockere Art schon als Kind nicht leiden können und fand es nur vernünftig, sie jetzt als »durchgeknallt« zu betrachten. Und in jedem Fall war Doktor Diver nicht die Art von Mediziner, die sie sich in der Familie vorstellen konnte.
Sie wollte ihn einfach nur benutzen, weil es so praktisch war.
Dennoch hatte ihre Bitte genau den Effekt, den Richard dahinter vermutet hatte. Eine Bahnfahrt kann eine schrecklich traurige, aber auch eine sehr komische Angelegenheit sein. Sie kann ein Testflug sein; sie kann auch der Prototyp einer ganz anderen Reise sein, so wie jeder beliebige Tag mit einem Freund sehr lang sein kann, von der Eile am Morgen bis zur Erkenntnis, dass man hungrig ist und gemeinsam zum Essen geht. Dann kommt der Nachmittag |243| und die Reise beginnt zu verblassen und ihrem Ende entgegenzugehen,
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