Zärtliche Wildnis
dem gesellschaftlichen Leben ganz den Rücken gekehrt, hatte sich seiner Schafzucht gewidmet und sich zu einem beliebten Opfer all jener entwickelt, die einen nutzlosen Hund oder einen alten Gaul loswerden wollten, womit er seinem realistischeren Freund manchmal sehr auf die Nerven ging. Daher beschränkte sich Adam, der von dieser Fremden so beeindruckt gewesen war, darauf, Pirates Reaktion auf seine neue Herrin zu schildern — ein Thema, an dem er sich begeisterte und das Andrew, der nicht daran zweifelte, daß diese frustrierte Jungfer aus dem Boxer einen Schoßhund machen würde, milde langweilte.
Am Ende der Woche, nach Liz’ erstem Zusammentreffen mit Pirate, zog der Hund in das Häuschen ein und machte von seinen neuen Rechten unverzüglich Gebrauch, indem er sich Clive und Ernest gegenüber, die die Neuerwerbung mit einigem Mißfallen besichtigten, von seiner unangenehmsten Seite zeigte.
»Wenn du so unbedingt einen Hund haben wolltest, hätte ich dir einen wirklich netten Foxterrier besorgen können«, meinte Clive. »Die Hündin von meiner Wirtin hat gerade Junge. Warum hast du dir ausgerechnet so ein Riesentier aussuchen müssen?«
»Das wollte ich eigentlich gar nicht — aber auf einmal war er eben da«, erwiderte Liz kleinlaut und versuchte Clive davon zu überzeugen, daß Pirate der freundlichste Hund von der Welt war, solange niemand seiner neuen Herrin zu nahe trat.
Ihr kleiner Kindergarten war kurz vor Pirates Ankunft eröffnet worden, und sie hatte die Absicht, den Hund an der Kette zu lassen, solange sie nicht zu Hause war. Doch er protestierte so nachdrücklich, und die Kinder verlangten so lautstark danach, ihn wenigstens einmal sehen zu dürfen, daß sie ihn an einer langen Leine mitnahm, um ihn vor dem Gemeindehaus an den Zaun zu binden. Doch das war gar nicht notwendig. Kinder waren offensichtlich eine Leidenschaft von Pirate. Er war auf sie fast ebenso versessen wie auf Schuhe, und bald schon tollte auch das ängstlichste der Kinder vergnügt mit dem großen Hund herum. Die Kinder liebten ihn abgöttisch, und Liz benutzte ihn nur zu gern als Aufhänger für ihre Gespräche über Tierliebe und Tierschutz. Am Ende des Tages hatte Pirate einen kleinen Haufen von Kinderschuhen und Sandalen neben sich liegen, die er aufmerksam bewachte, bis die Kinder nach Liz’ Eingreifen endlich geziemend beschuht den Heimweg antraten.
Sowohl den Kindern als auch Liz bereiteten die Stunden im Kindergarten ungeheures Vergnügen, und den Eltern brachten sie eine willkommene Erleichterung. Sie wechselten sich dabei ab, die zehn Kleinen hinzubringen, und täglich fuhren zur vereinbarten Zeit zwei große, alte Autos vor, aus denen die Kinder herauspurzelten; einige wichtigtuerisch und voller Eifer, andere ein wenig ängstlich bei dieser ersten Begegnung mit der großen Welt, doch getröstet durch die Gegenwart ihrer Freunde. Die Familien im Tal waren trotz der Entfernungen, die sie trennten, gut miteinander bekannt, und die Kinder machten eifrig bei den Spielen mit, die Liz sich für den Anfang ausgedacht hatte.
Von den Müttern hatte sie kurze Charakteristiken der Kinder erhalten, die zumeist wenig schmeichelhaft waren.
»Jane ist sehr trotzig«, erklärte eine. »Da sie ein Nachzügler ist mit zwei Brüdern, die zehn und zwölf Jahre älter sind, ist sie ziemlich verwöhnt. Lassen Sie ihr nur nicht alles durchgehen.«
»Linda kommandiert gern andere herum. Sie macht sich gern wichtig, da muß man manchmal schon energisch durchgreifen«, sagte eine andere.
»Ben ist ein fürchterlicher Lausbub«, behauptete seine Mutter. »Er hat nichts als Unsinn im Kopf und hänselt ständig die anderen Kinder. Geben Sie ihm ruhig einen Klaps, wenn Sie es für angebracht halten.«
»Bobbie wird Ihnen die schönsten Tänze aufs Parkett legen, wenn Sie es zulassen. Er kann sogar auf Kommando weinen. Am besten ignorieren Sie ihn einfach«, meinte eine desillusionierte Mutter.
Liz hörte sich alles aufmerksam an, dankbar, daß diese Mütter so aufrichtig waren. Sie hatte damit gerechnet, daß man ihr sagen würde, jedes der Kinder sei ungewöhnlich sensibel und brauche sehr viel Zuwendung. Doch dergleichen bekam sie nicht zu hören, denn diese Frauen waren realistisch in jeder Beziehung und viel zu ehrlich, um sich über ihre Sprößlinge hochfliegenden Illusionen hinzugeben. Darüber war Liz froh. Sie war außerdem sehr froh darüber, daß Mrs. Cooke kein Kind hatte, das ihren Kindergarten besucht hätte.
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